Zeitfenster Nr. 24

Alte und neue Werbestrategien treffen in den 50er-Jahren aufeinander

Der Bauchladen, wie er beim Losverkauf für die Nationaltheater-Tombola eingesetzt wurde, war auch in der Nachkriegszeit noch populär. Zum Einsatz kamen die einheitlich entworfenen und beschrifteten Holzkästen 1952 anlässlich der »Tombola für den Wiederaufbau des Nationaltheaters.« Es war ein Zeichen für die Attraktivität der Preise, wie schnell die Losbriefe ausverkauft waren. So entstanden in Mannheim zwei Serien mit je einer Tombola. Bei der ersten Serie kostete ein Los 50 Pfennig. Mit dem nötigen Glück war ein Persianer-Pelzmantel im Wert von 3000 DM als Hauptgewinn zu ergattern. Beide Losaktionen wurden von der Frankfurter Arbeitsgemeinschaft R. E. Stolzenberg und A.R. Mohr professionell organisiert. Sie hatten ähnliche Events in verschiedenen Großstädten bereits erfolgreich durchgeführt und erhielten schließlich 1951 auch in Mannheim den Auftrag zu einer »Theater-Tombola für den Wiederaufbau des Theaters«. Schon 1946 gründete der Gemeinderat einen Theateraufbaufonds, bei dem man sich 1948 durch die Währungsreform vor veränderte Rahmenbedingungen gestellt sah. Aufgrund unterschiedlicher politischer Strömungen und der existenziellen Nöte der Bevölkerung erwog der damalige Oberbürgermeister Hermann Heimerich (1885-1963) sogar die Zusammenlegung des Nationaltheaters mit dem Theater Heidelberg. Dies löste so starke Proteste aus, dass man schließlich das genaue Gegenteil, nämlich den vollständigen Wiederaufbau in einem neuen Gebäude am Goetheplatz beschloss. Das Vorhaben bedurfte zwar erheblicher finanzieller Anstrengungen, war aber zur Willensbildung Mannheims, mit den neuen Zeiten umzugehen, von unschätzbarem Wert. Die erste Mannheimer Theater-Tombola war also nicht nur ein Mittel der Geldbeschaffung zum Wiederaufbau des Theaters, sondern setzte der gesamten Stadtgesellschaft ein konkretes Ziel. Man operierte dabei mit einem abgestimmten strategischen Marketing auf allen in dieser Zeit denkbaren Ebenen. Für mediale Präsenz sorgten Zeitungen, Zeitschriften und der Rundfunk. Auch die in Mannheim stationierten US-amerikanischen Kräfte unterstützen die damals noch so genannte »Propaganda« medial oder ganz klassisch mit musikalischen Auftritten. Mit Benefiz-Konzerten und Galaprogrammen warb 1952 auch das Theater anlässlich der Wiedereröffnung des Rosengartens für die Tombola. Ranghohe politische Persönlichkeiten kamen innerhalb von Rahmenveranstaltungen unter modernem Technikaufgebot im Saal und in Freiluft zum Einsatz. So eröffnete Oberbürgermeister Hermann Heimerich spontan die erste Serie der Tombola. Er trug dabei einen Zylinder, den ihm eine junge Losverkäuferin im Schornsteinfeger-Kostüm zur Verfügung gestellt hatte. Die zweite Serie eröffnete der erste Bürgermeister Jakob Trumpfheller. Bei diesen Open-Air-Auftritten wurden die politischen Protagonisten von im Nationaltheater tätigen (und damit dem Publikum bekannten) Künstler*innen begleitet:
Links: die Choreografin und erste Schillerpreisträgerin Mary Wigman. Um se herum ist eine Menschenmaße.
Links: die Choreografin und erste Schillerpreisträgerin Mary Wigman
Kaum etwas wurde ausgelassen, um aus der traditionellen Theaterliebe der Mannheimer*innen eine positive Aufbruchs-Stimmung ins Wirtschaftswunder zu kreieren. Die größeren Gewinne der Tombola wurden auf dem teils von Trümmern umgebenen Paradeplatz in entsprechenden Pavillons und einer 100 Meter langen Schaufensterstraße zur Besichtigung präsentiert. In einem Umzug durch die Kurpfalzstraße überführte man die besonders spektakulären Preise dahin, was von der Bevölkerung mit einer großen Faszination und volksfestähnlicher Stimmung aufgenommen wurde. Die findige Beschaffung von Gewinnen, die überwiegend von der Mannheimer Wirtschaft gegen Bescheinigung der steuerlichen Geltendmachung gestiftet wurden, übernahm die Gesellschaft der Freunde des Mannheimer Nationaltheaters. Die Vorläuferorganisation der heutigen Freunde und Förderer des NTM hatte sich bereits wirkmächtig gegen die Theaterfusion Mannheim-Heidelberg eingesetzt. Im Schulterschluss aller stadtgesellschaftlichen Akteure gelang es dem Nationaltheater, aus jenem früheren Konflikt sogar gestärkt hervorzugehen. Der Erfolg der publikumswirksamen Ereignisse zur Theaterfinanzierung steckte an. 1953 gründete der Gemeinderat die »Stiftung Nationaltheaterbau Mannheim«. Hinein floss der Reingewinn der ersten und zweiten Tombola in Höhe von nahezu einer Million DM. Es war ein erster, aber entscheidender Meilenstein zur Finanzierung des Theaterbaus in Höhe von schließlich 12 Millionen DM.
Kaum eine der unzähligen Veranstaltungen brannte sich in das kollektive Gedächtnis der Wiederaufbau-Phase des Nationaltheaters ein, wie der festliche Abschluss der zweiten Theater-Tombola 1956: der Zwölf-Zentner-Ochse am Spieß mit Bierbrunnen auf dem Paradeplatz! Mehr oder weniger subtil wurde die Eventstrategie stets mit der historischen Legitimationsstrategie verbunden: 1954 wurde das 175. Jubiläum der Theatergründung, die erste Verleihung des Schiller-Preises und die Grundsteinlegung des neuen Hauses am Goetheplatz feierlich begangen. Darauf folgten 1955 aus Anlass des 160. Todestages von Friedrich Schiller »Schiller-Tage«, eine »Schillerfeier für die Jugend« und eine weitere Schillerfeier des Nationaltheaters. Insbesondere der Bezug zu Schiller machte das Nationaltheater zum Symbol für Mannheims Resilienzfähigkeit zu allen Zeiten. So konnte auch Heimerichs frühere Maxime »Mannheim, Stadt der Arbeit und der Kunst« fortgesetzt werden. Als erster Sozialdemokrat hatte er bereits schon einmal 1928 die Oberbürgermeisterwahl für sich entschieden. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten in Schutzhaft genommen, da er die Hakenkreuzfahne nicht am Rathaus hissen lassen wollte. Er verließ Mannheim zunächst, kehrte aber 1949 in sein Amt zurück. Nach Ablauf der Amtszeit Heimerichs weihte der parteilose Dr. Hans Reschke das neue Nationaltheater ein. Er würdigte in seiner Festansprache zur Verleihung des Schillerpreises (s. Zeitfenster 9) im Rahmen der Eröffnungsfeierlichkeiten am 12. Januar 1957:
»stellvertretend für alle, die mithalfen«, dass der Neubau des Nationaltheaters entstehen konnte, seinen Amtsvorgänger Hermann Heimerich und den Präsidenten der Industrie- und Handelskammer, Hans Leonhard Hammerbacher, den »unermüdlichen Helfer, Werber und Sammler«.

Dr. Laura Bettag

Bildnachweise, Literatur und Links
  • OB Heimerich bei der Eröffnung: MARCHIVUM, Bildsammlung, KF 006057
  • Mary Wigman und OB Heimerich: MARCHIVUM, Bildsammlung KF 011510
  • Walter Pott und OB Heimerich: MARCHIVUM, Bildsammlung KF 008202
  • Carl Reuther (1957). Mannheims Bürger bauten mit. In: Das Neue Nationaltheater, Festschrift zur Eröffnung des neuen Mannheimer Nationaltheaters am 175. Jahrestag der Uraufführung der »Räuber«, S. 139-143.
  • Liselotte Homering (Hg.) (1998). Mannheim und sein Nationaltheater. Menschen – Geschichte(n) – Perspektiven. Mannheim: Palatium-Verlag, S. 561.
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