»Wollen kulturelles Herzstück des Stadtteils werden«

Schauspielintendant Christian Holtzhauer und Tanzintendant Stephan Thoss fiebern der Eröffnung der Interimsspielstätte Altes Kino Franklin am 10. Februar 2023 entgegen
Das Alte Kino Franklin, die Interimsspielstätte für Schauspiel und Tanz während der Generalsanierung, kann am 10. Februar 2023 mit der Premiere von »Der gute Mensch von Sezuan« endlich eröffnen. Wie fühlt Ihr Euch so kurz vor dem Start?

CHRISTIAN HOLTZHAUER: Aufgeregt, voller Vorfreude, aber auch ein bisschen nervös.

STEPHAN THOSS: Mir geht es genauso. Wir betreten einen neuen Raum und freuen uns auf all die Möglichkeiten, die uns dieser neue Ort für unsere Kunst bietet. Bevor wir uns um die Zukunft kümmern, müssen wir aber auch noch mal einen Blick zurückwerfen. Die Spielstätte eröffnet wegen baulicher Verzögerungen etwas später als geplant.

Was waren die größten Herausforderungen in den vergangenen Monaten und welche Konsequenzen hatte das für Eure Programmplanungen?

CH: Planungssicherheit ist im Theater enorm wichtig, weil die Arbeit der vielen verschiedenen Beteiligten – von den Werkstätten, die das Bühnenbild bauen, bis zu den Künstler*innen, die am Ende auf der Bühne stehen – präzise koordiniert werden muss, damit am Ende eine Premiere an einem bestimmten Termin stattfinden kann. Deshalb war die Planungsunsicherheit für uns die mit Abstand größte Herausforderung. Wir haben erst kurz vor der Sommerpause erfahren, dass wir das Alte Kino nicht wie ursprünglich geplant im Dezember, sondern erst im Februar beziehen können. Einen komplett neuen Spielort zu finden, einzurichten und dafür geeignete Produktionen zu entwickeln, war ausgeschlossen. Wir haben daher mehr im Studio Werkhaus gespielt und unsere Probebühne in Käfertal – direkt neben dem Tanzhaus – kurzerhand zum neuen Spielort erklärt und dort auf unserem Theatertruck gespielt.

ST: Wir im Tanz hatten das Glück, viele Dinge erst mal mit uns selbst ausmachen zu können, weil die Produktionen, bei denen wir mit Gästen arbeiten, alle in der zweiten Spielzeithälfte liegen. Deshalb war es für uns etwas einfacher, Projekte zu verschieben. Das ist im Schauspiel mit den Teams aus Regie, Bühne, Kostüm und vielleicht noch Dramaturgie sehr komplex. Da kann man nicht einfach mal eben etwas weglassen oder verschieben. Zudem hatten wir das Glück, Produktionen ins Tanzhaus verlegen zu können, das wir vor der Spielzeit für Veranstaltungen von 130 auf 170 Plätze ausgebaut haben. So konnten wir unsere Projekte, wenn auch nicht auf der großen Bühne, zumindest dort dem Publikum präsentieren und gleichzeitig Käfertal – sowohl für uns als auch für das Schauspiel – weiter als Veranstaltungsort etablieren.

Jetzt aber wieder zu Franklin: Auf welches Theatererlebnis darf sich das Publikum im Alten Kino freuen?

CH: Das alte amerikanische Kino ist kaum wiederzuerkennen. Hier ist wirklich ein richtiges Theater an einem attraktiven neuen Veranstaltungsort entstanden – in einem Stadtteil, der selbst noch im Entstehen ist. Und wir als Theater haben die Möglichkeit, das kulturelle und soziale Leben in diesem Stadtteil mitzugestalten. Das finde ich wahnsinnig aufregend. Insofern wollen wir über den reinen Vorstellungsbetrieb hinaus ein Ort sein, der sich zu einem
kulturellen Zentrum, zum kulturellen Herzstück dieses Stadtteils entwickelt.

Wie wollt Ihr das Publikum dauerhaft von der Innenstadt nach Franklin mitnehmen?

CH: Das Wichtigste ist natürlich ein überzeugendes Programm – und da bin ich sicher, dass wir die richtigen Entscheidungen getroffen haben. Aber es ist auch wichtig, immer wieder zu betonen, dass der Weg nach Franklin ja gar nicht weit ist. Mit der Straßenbahn ist es von der Haltestelle »Nationaltheater« zum »Platz der Freundschaft« gerade mal eine Viertelstunde. Die Haltestelle ist direkt vor der Tür. Man fällt quasi ins Theater.

ST: Der erste Schritt ist mit der verstärkten Bespielung des Tanzhauses und der Probebühne in Käfertal ja schon gemacht. So viel weiter raus ist es nach Franklin nicht. Das ist nur noch ein Katzensprung.

CH: Zudem wird der neue Stadtteil immer besser an die Innenstadt angebunden. Und wir befinden uns in guter Gesellschaft, weil auch andere Kulturangebote dort entstehen: Das Palazzo Spiegelzelt etwa ist bereits nach Franklin gezogen. Das wäre sicher nicht der Fall, wenn es dort kein Potenzial für Kultur gäbe. Insofern bin ich sicher, dass auch Menschen, die Franklin bislang nicht so auf dem Schirm hatten, diesen Ort entdecken und zu ihrem Ort machen werden. Zumal wir ja an viele Mannheimer Stadtteile und auch an umliegende Gemeinden näher heranrücken.

Was erwartet die Mannheimer Theater-Fans in dieser Spielzeit noch im Alten Kino?

ST: Wir haben für unsere Produktion »Young Lovers« mit Marco Goecke und Nadav Zelner zwei hochkarätige Choreografen eingeladen und sind sehr froh, den Mannheimer Tanz-Fans damit im April einen ganz besonderen ersten Abend im Alten Kino Franklin bieten zu können.

CH: Für uns steht der Start in der neuen Spielstätte unter dem Motto »Große Stoffe, große Emotionen«! In Anlehnung an die Geschichte des Ortes und an die Traumfabrik Hollywood bringen wir Blockbuster sowohl der Theaterliteratur als auch des Kinos auf die Bühne. Nach dem Start mit Bertolt Brechts »Der gute Mensch von Sezuan« folgt mit »Eine Volksfeindin« nach Henrik Ibsen im März ein weiterer bekannter Theatertitel. Ende April zeigen wir eine eigene Fassung des Filmklassikers »Casablanca«. Außerdem setzen wir uns in der Uraufführung »New World Franklin« von Björn Bicker mit der Geschichte des Alten Kinos und des gesamten Stadtteils auseinander. Ende Juni starten zudem die 22. Internationalen Schillertage.

Was hat das Schauspiel vom 22.06. bis zum 02.07.2023 mit dem Alten Kino und dem Stadtteil Franklin vor?

CH: Unsere Eigenproduktion »Wilhelm Tell« wird zwar nicht auf Franklin stattfinden, sondern in Kooperation mit der Bundesgartenschau unter freiem Himmel auf der Seebühne im Luisenpark, aber das Alte Kino wird trotzdem ein wichtiger Standort für einige der Schiller-Gastspiele sowie für das Festivalzentrum sein. Spätestens dann wird Franklin der neue »place to be«. Über der Eröffnung prangt der Slogan »Theater wird jetzt großes Kino«.

Sowohl Theater als auch Kinos haben aktuell mit sinkenden Zuschauer*innenzahlen zu kämpfen. Was stimmt Euch hoffnungsvoll, dass Ihr in den kommenden Jahren während der Sanierung, aber auch nach der Zeit im Alten Kino Franklin, wenn es zurück ins Spielhaus am Goetheplatz geht, vor ausverkauftem Haus Theater zeigen werdet?

ST: Obwohl das Tanzhaus Käfertal kein optimaler Aufführungsort ist, haben wir aktuell keine Probleme, die 170 Plätze zu verkaufen. Wenn wir einen eher provisorischen Ort schon voll bekommen, dann sollte das doch auch mit einem neuen, richtig guten Theaterraum klappen.

CH: Ich bin überzeugt davon, dass es nach einer Zeit der Verunsicherung und Zurückhaltung wieder einen Theater Boom geben wird, weil es ein urmenschliches Bedürfnis ist, sich zu versammeln. Unsere Aufgabe ist es, dafür geeignete, freudvolle Angebote und Anlässe zu schaffen. Ich bin sicher, dass uns das gelingen und die Neugier auf die neuen Standorte groß sein wird. Und ich denke auch, dass in fünf Jahren, wenn wir zurück an den Goetheplatz ziehen, die Neugier auf das dann frisch sanierte Theater groß sein wird. Die Energie, die nur ein Live-Erlebnis entfachen kann, und die gemeinsame Konzentration aller Beteiligten, die nur im Theater entstehen kann, sind etwas Einzigartiges.

Von Maik Dessauer

Veröffentlicht im Theatermagazin Februar 2023
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