In der Nachkriegszeit bemühte man sich in vielen Städten, so schnell wie möglich wieder Theater spielen zu können. In Mannheim stand die Christuskirche für Konzertaufführungen schon im August 1945 bereit. Man spielte im gleichen Jahr in umgebauten Kinos, 1946 im Schlosstheater Schwetzingen, 1947 im Rosengarten und 1951 in der Kunsthalle. Ebenerdige Spielflächen in zweckentfremdeten Gebäuden oder im Freien wurden als »Scheunentheater« bezeichnet. Sie waren Einraum-Theater und vom Bühnenaufbau flach, was als demokratisch galt. Stand eine Schlossruine als »Kulisse« zur Verfügung, gestaltete man »Ruinentheater« ohne Bühnenbildwechsel. Für professionelle Bühnenschaffende war dies auf Dauer keine Lösung. Auch in Mannheim prüfte man, das Nationaltheater innerhalb des Schlossgeländes und damit nicht weit vom ursprünglichen Standort zu errichten. Es waren insbesondere »gestrige« Kreise, die diese Idee favorisierten. Ein Wiederaufbau an der alten Stelle war nicht möglich. Der Neubau im Schlossostflügel wurde schließlich sogar von Oberbürgermeister Hermann Heimerich in Erwägung gezogen. Nach seinen gescheiterten Fusionsplänen der Theater Heidelberg und Mannheim, erhoffte er sich dadurch eine finanzielle Beteiligung des Landes. Allerdings schwebte ihm bei dem Neubau der moderne Bühnentyp des Rundtheaters vor. Hiervon versprach er sich sowohl eine grundlegende Erneuerung, als auch einen geringeren Kostenrahmen als bei einem Theatertyp mit Guckkasten-Bühne und Rängen.
Der Bühnenbildner André Perrottet (1916 – 1956) und der Architekt Erwin Stöcklin stellten ihm ihr Modell zuerst vor. In mehreren Informationsveranstaltungen versuchte man dann Interessierte für die neue Idee zu gewinnen. Heimerich warb für die Abkehr vom höfischen Theater alter Prägung und sah in der Neukonzeption die Chance, das Theater dem zeitgemäßen »sozialen Gesicht der Stadt« anzupassen. Perrottet und Stöcklin stellten sich vor Ort den Fragen des Mannheimer Publikums. Die Fokussierung der Argumentation auf einen bis dato in Mannheim unbekannten Theatertyp mit einem drehbaren Zuschauerraum erwies sich dabei im Endeffekt als unvorteilhaft. Ungeklärte Sicherheitsfragen und technische Bedenken führten schließlich dazu, dass die Stadt Abstand von dem Projekt nehmen musste. Hinderlich war auch, dass die Kombination aus der historischen Bausubstanz des Schlosses und einem hochmodernen Theatergebäude ohne Vorbild war. Die Stadt Münster löste das Problem etwas später im Jahr 1954 dergestalt, dass man einen Teil der alten Theaterruine des Romberg‘schen Hofes bewusst in den Neubau der Architekten Deilmann, von Hausen, Rave und Ruhnau integrierte.
Perrottet und Stöcklin ließen sich jedoch nach der ersten Ablehnung nicht entmutigen. Die beiden Schweizer verfolgten eine tiefer gründende Mission. Sie und ihre Anhängerschaft in Mannheim wollten an teils schon in den 20er-Jahren aufgekommene und durch die Nazis vorenthaltene künstlerischen Entwicklungen anknüpfen. Sie glaubten sich in der Lage, die »Laboratoriumsarbeit der Moderne« (Hilpert) in die Nachkriegszeit herüber retten zu können. Dies betraf die Errungenschaften des Bauhauses, insbesondere des sog. »Totaltheaters« von Walter Gropius und Erwin Piscator. Hilpert führt dazu aus:
Der Bühnenbildner André Perrottet (1916 – 1956) und der Architekt Erwin Stöcklin stellten ihm ihr Modell zuerst vor. In mehreren Informationsveranstaltungen versuchte man dann Interessierte für die neue Idee zu gewinnen. Heimerich warb für die Abkehr vom höfischen Theater alter Prägung und sah in der Neukonzeption die Chance, das Theater dem zeitgemäßen »sozialen Gesicht der Stadt« anzupassen. Perrottet und Stöcklin stellten sich vor Ort den Fragen des Mannheimer Publikums. Die Fokussierung der Argumentation auf einen bis dato in Mannheim unbekannten Theatertyp mit einem drehbaren Zuschauerraum erwies sich dabei im Endeffekt als unvorteilhaft. Ungeklärte Sicherheitsfragen und technische Bedenken führten schließlich dazu, dass die Stadt Abstand von dem Projekt nehmen musste. Hinderlich war auch, dass die Kombination aus der historischen Bausubstanz des Schlosses und einem hochmodernen Theatergebäude ohne Vorbild war. Die Stadt Münster löste das Problem etwas später im Jahr 1954 dergestalt, dass man einen Teil der alten Theaterruine des Romberg‘schen Hofes bewusst in den Neubau der Architekten Deilmann, von Hausen, Rave und Ruhnau integrierte.
Perrottet und Stöcklin ließen sich jedoch nach der ersten Ablehnung nicht entmutigen. Die beiden Schweizer verfolgten eine tiefer gründende Mission. Sie und ihre Anhängerschaft in Mannheim wollten an teils schon in den 20er-Jahren aufgekommene und durch die Nazis vorenthaltene künstlerischen Entwicklungen anknüpfen. Sie glaubten sich in der Lage, die »Laboratoriumsarbeit der Moderne« (Hilpert) in die Nachkriegszeit herüber retten zu können. Dies betraf die Errungenschaften des Bauhauses, insbesondere des sog. »Totaltheaters« von Walter Gropius und Erwin Piscator. Hilpert führt dazu aus:
»Die Schweiz hatte seit den 30er-Jahren – über ihre traditionelle Ausstrahlung hinaus (…) für viele progressive Äußerungen deutscher Kultur, wenn nicht als Widerstandsraum so doch als alpiner Rückzugsraum und Nische fungiert. So gehörten Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch nach dem Krieg in Deutschland zu den einflussreichsten Autoren. Max Frisch steht bis zur Mitte der 1950er–Jahre für beides – die literarische wie architektonische Kultur. Bauhausschüler wie der Maler, Designer und Architekt Max Bill oder der Theaterarchitekt Roman Clemens, der 1932 bis 1942 Bühnenbildner am Opernhaus Zürich war, wirken nun nach Deutschland zurück.«
André (auch Adelar oder Allar) Perrottet war ein vielseitig erfahrener Bühnenbildner:
Die multiple Bandbreite zukunftsweisender künstlerischer Strömungen hatte er als Sohn des Architekturstudenten, Tänzers, Choreografen und Tanztheoretikers Rudolf von Laban (ZF 37) und der Tänzerin, Rhythmikerin und Musikerin Suzanne Perrottet hautnah kennengelernt. Die Idee des mobilen Totaltheaters und seinen Varianten (z.B. von Moholy-Nagy und Laban) war ihm so vertraut, dass er auf dieser Basis mit Stöcklin und Baur das »Allround-Theater« entwickelte. Es sollte ein größeres Spektrum von Nutzungen als seine Vorläufer aus den 20-er Jahren beinhalten. Das Theater stellte nun mehr kein Gebäude als äußere Hülle dar, sondern eine bewegliche, transformable Struktur. Durch die potentielle Drehbarkeit des Karussell-Parketts, kann die jeweils gewählte Struktur mit den umschließenden Bühnenringen an den räumlichen und zeitlichen Bewegungen der Theaterstücke teilnehmen. Das Publikum wird dadurch in die Lage versetzt, diese Bewegungen zu »inkorporieren«. Im Mannheimer Morgen (v. 07.02.1951) heißt es dazu:
»Bei Bild- und Szenenwechseln wird der Zuschauer ohne Haltung oder Blickrichtung zu verändern in die Einstellung des nächsten Bildes gedreht, (…) der Vorhang besteht aus zwei großen Schalen, um die gewünschte Bühnenöffnung beliebig weit zu machen. Die Theaterbesucher kommen (ähnlich wie bei einer Sportarena), von unten herein. In der Deckenmitte des Gebäudes ist die Beleuchterkuppel angebracht, von wo aus die Zuschauerdrehung geschaltet wird.«
Die Theaterschaffenden setzten dabei auf die Veränderungsfähigkeit bzw. Relativierung der visuellen und kinetischen Wahrnehmung der Anwesenden. Wie bei dem Blick aus dem Fenster eines fahrenden Zuges, an dem ein anderer Zug vorbeigleitet, weiß man nicht, »ob man selber oder ‚der andere‘ fährt«.
Schutz und Ruhe für eine traumatisierte Nachkriegs-Bevölkerung (ZF 20 und ZF 35) bot dieser fast schon immersiv gedachte ästhetische Ansatz eher nicht. Gemäßigtere Varianten des Modelles hätten mit Perrottet, Stöcklin & Baur durchaus diskutiert werden können. Ein Blick auf die damaligen Pläne und Dokumente zeigt, dass auch ein Miteinander von experimentellen und konventionellen Lösungen denkbar gewesen wäre. Dazu kam es auch beim Architekturwettbewerb 1952/53 nicht. Mit den immer gleichen Argumenten zweifelten die Mannheimer Verantwortlichen an der technischen Realisierbarkeit und Sicherheit. Das Allround-Theater blieb wie das Totaltheater von Gropius/Piscator Utopie. Für André Perrottet endete damit die Hoffnung, die ungelebten Potentiale seiner Vorfahren doch noch realisieren zu können. Er starb 1956 durch Suizid. Die Ideen des Totaltheaters der 20er-Jahre und seiner Varianten regen aber bis heute dazu an, über die Bedeutung des Raums für die Funktion und Wirkung von Theater nachzudenken.
Schutz und Ruhe für eine traumatisierte Nachkriegs-Bevölkerung (ZF 20 und ZF 35) bot dieser fast schon immersiv gedachte ästhetische Ansatz eher nicht. Gemäßigtere Varianten des Modelles hätten mit Perrottet, Stöcklin & Baur durchaus diskutiert werden können. Ein Blick auf die damaligen Pläne und Dokumente zeigt, dass auch ein Miteinander von experimentellen und konventionellen Lösungen denkbar gewesen wäre. Dazu kam es auch beim Architekturwettbewerb 1952/53 nicht. Mit den immer gleichen Argumenten zweifelten die Mannheimer Verantwortlichen an der technischen Realisierbarkeit und Sicherheit. Das Allround-Theater blieb wie das Totaltheater von Gropius/Piscator Utopie. Für André Perrottet endete damit die Hoffnung, die ungelebten Potentiale seiner Vorfahren doch noch realisieren zu können. Er starb 1956 durch Suizid. Die Ideen des Totaltheaters der 20er-Jahre und seiner Varianten regen aber bis heute dazu an, über die Bedeutung des Raums für die Funktion und Wirkung von Theater nachzudenken.
Dr. Laura Bettag
Bildnachweis, Literatur und Links:
- Kachelbild: MARCHIVUM, Bildsammlung, KF022339
- Thilo Hilpert (2002). André Perrottet von Labans „Total-Theater“. In: Mies van der Rohe im Nachkriegsdeutschland, Das Theaterprojekt Mannheim 1953. Leipzig: Seemann, S. 289-300.
- Javier Nuñez (2004). Walter Gropius Total Theatre 3D-Visualization. Verfügbar unter https://vimeo.com/59497126
- Friedrich-Verlag (Hg.). "mitten in das scenische geschehen hineingerissen". Erwin Piscator, Walter Gropius und das Totaltheater. Verfügbar unter https://www.friedrich-verlag.de/friedrich-plus/sekundarstufe/schultheater/buehne-technik/mitten-in-das-scenische-geschehen-hineingerissen-3502
- Sebastian Parzer (2008). Mannheim soll nicht nur als Stadt der Arbeit neu erstehen… Ubstadt-Weiher: Verl. Regionalkultur, S. 138.
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