Als das neue Gebäude des Nationaltheaters am Goetheplatz 1957 eröffnet wurde, trafen die Besucher*innen auf ein architektonisches Gesamtkunstwerk im Äußeren, aber auch im Inneren. Die unterschiedlichen Stein- und Textilformen ergänzten sich farblich und sorgten beim Durchschreiten der Räumlichkeiten für sich ständig wandelnde, aber diskrete Abwechslung. Insbesondere mit der Foyerbestuhlung wollte man innerhalb des großen Ganzen gezielt Raumzonen schaffen. Je nach Zone herrschte das Mobiliar in einem bestimmten Design vor. Nach den zeitgenössischen Fotos können diese Designs dem Dänen Arne Jacobsen (ZF 21), Ludwig Mies van der Rohe/Lilly Reich (ZF 3) und Egon Eiermann zugeordnet werden. Designer*innen nannte man in dieser Zeit noch »Formgestalter«. Die Stühle von Egon Eiermann waren für die Theaterkantine vorgesehen und waren nur durch die Glasfronten auf der Opernhaus-Seite zu sehen. Jacobsen, Mies van der Rohe und Eiermann waren Architekten, von denen sich letztere auch beim Wettbewerb um das Nationaltheater-Gebäude beteiligt hatten. Organisieren sollte diesen Wettbewerb der Architekt und Designer Herbert Hirche (1910-2002) als Angestellter des Hochbauamtes. Aus seiner vorherigen Laufbahn kannte er die Bauhaus-Größen Mies van der Rohe und Lilly Reich, bei denen er am Dessauer Bauhaus studiert hatte. Auch hatte er in den Büros von Egon Eiermann und Hans Scharoun gearbeitet.
Neben seinem Engagement für den Wettbewerb war Hirche mit den Planungen für die erste Wohnberatungsstelle des Werkbundes betraut. Der Werkbund bemühte sich seit 1907 um das beispielhafte und interdisziplinäre Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk. Theodor Heuss war bis 1949 Geschäftsführer des gemeinnützig ausgerichteten Werkbundes. Das Projekt der Wohnberatungsstelle war eine Idee von Oberbürgermeister Heimerich. Mit dieser Einrichtung wollte er ein Mannheimer Muster schaffen, um überregionale Nachahmung zu generieren. Er war davon überzeugt und beseelt, dass sich das architektonische Umfeld der Menschen auf ihre Lebenseinstellung positiv auswirken würde. Die Mannheimer*innen sollten bei der Gestaltung ihrer Wohnverhältnisse dabei geschmacksbildende Unterstützung erhalten. Lilly Reich schrieb dazu in einem Grundsatzpapier:
Neben seinem Engagement für den Wettbewerb war Hirche mit den Planungen für die erste Wohnberatungsstelle des Werkbundes betraut. Der Werkbund bemühte sich seit 1907 um das beispielhafte und interdisziplinäre Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk. Theodor Heuss war bis 1949 Geschäftsführer des gemeinnützig ausgerichteten Werkbundes. Das Projekt der Wohnberatungsstelle war eine Idee von Oberbürgermeister Heimerich. Mit dieser Einrichtung wollte er ein Mannheimer Muster schaffen, um überregionale Nachahmung zu generieren. Er war davon überzeugt und beseelt, dass sich das architektonische Umfeld der Menschen auf ihre Lebenseinstellung positiv auswirken würde. Die Mannheimer*innen sollten bei der Gestaltung ihrer Wohnverhältnisse dabei geschmacksbildende Unterstützung erhalten. Lilly Reich schrieb dazu in einem Grundsatzpapier:
»Der Ausdruck unserer Kultur liegt nicht zuletzt in der Gestalt und im Wert unserer geistigen und materiellen Güter. Unser Dasein ist heute wesentlich bestimmt durch unser technisches und industrielles Zeitalter. Unser Leben wird wesenlos und materiell, wenn es uns nicht gelingt, die Ergebnisse und Produkte der Technik und Industrie in unsere kulturelle Welt und Arbeit einzubeziehen.«
Das Ziel war es, den klassischen Funktionalismus aus der Bauhaus-Zeit, den nach dem Krieg gewandelten Lebensverhältnissen anzupassen. In der Zeit der jungen Republik sollte kein Platz mehr für den behäbigen Konservatismus der 1930er- und 1940er-Jahre sein. Das frühere Palasthotel Mannheimer Hof an der Augusta-Anlage war im Bauhaus-Stil 1927 bis 1929 erbaut worden. Was die Sitzgelegenheiten betraf, hatte man sich 1934 jedoch rückentwickelt:
Das galt es im neuen Nationaltheater am Goetheplatz zu verhindern. Durch eine klare Linienführung und eine durchdachte Ausstattung sollte nicht nur Platz geschaffen, sondern nichts weniger als Freiräume für einen neuen Geist entfaltet werden. Allen Beteiligten war bewusst, dass dies nicht auf Befehl zu erreichen war. Um einen neuen Lebensstil zu etablieren, bedurfte es neben Information und Beratung auch einer entsprechenden professionellen Ausbildung. Zu Hirches Mission wurde es, in Mannheim eine Hochschule für Gestaltung zu gründen und zu leiten. Im Kontext dieser Hochschulpläne organisierte er die Ausstellung Gute Industrieform in der Städtischen Kunsthalle 1952. Deren damaliger Direktor Walter Passarge (1898-1958) und sein Kurator Heinz Fuchs (1917-2001) waren ebenfalls beteiligt. Da Hirche selbst Architekt war, beanspruchte er für sein Fach die inhaltliche Gestaltungsmacht:
»Die geistige Führung gebührt der Architektur. Sie trägt alle Gestaltung, sie umfasst alle Werkarbeit und Ordnung. Deshalb ist ohne sie eine, alle Gestaltungsgebiete erfassende Schule nicht denkbar.«
Er scheute sich nicht, die Beteiligten auf den gesamtgesellschaftlichen Anspruch der Stadt Mannheim einzuschwören, indem er formulierte:
»Wir müssten uns einig sein, einem gemeinsamen Gedanken zu dienen: modern zu sein.«
Nicola von Albrecht bilanziert in ihrer Dissertation:
»Als Möbel- und Produktdesigner, Ausstellungsgestalter und Propagandist der Guten Form, Designfunktionär und Hochschullehrer prägte Hirche maßgeblich die Entwicklung jenes sachlichen, moralisch konnotierten Designs «Made in (West)-Germany», mit dem die junge Bundesrepublik ihrem forcierten gesellschaftspolitischen Wandel nach 1945 ein neues – modernes – Gesicht gab.«
Eine leuchtende, aber heute weitgehend vergessene Umsetzung im Theaterbetrieb repräsentierte die Ausgestaltung der Oberen Schauspielfoyers:
Das ästhetische Primat der Architektur ist unverkennbar. Die Regiebrücke schwebt frei im Kleinen Haus. An Decke und Seitenrampen dominiert ein Streifendesign, dass die umgekehrte Farbigkeit der Platz- und Foyergestaltung ausdrückt: helle Fläche und dunkle Trennlinien oben und unten helle Trennlinien mit dunkleren Streifenflächen.
Die 12 Sitzmöbel sind auf 3 Teppichen in exakt überlegten Abständen gruppiert. Durch die Bezugnahme auf die Teppiche kann die Bestuhlung nach Nutzung schneller wieder in die vorgesehene Ordnung gebracht werden. Nach diesem Verfahren arbeitete man auch mit den Sesseln von Mies van der Rohe im Großen Foyer, die zu zweien auf Teppichflächen linear nebeneinander gereiht wurden.
Wer hatte das Design dieser Sessel geschaffen, die lt. Bestandslisten des Denkmalschutzes nicht mehr vorhanden sind? Vieles spricht dafür, dass sie von Herbert Hirche sein könnten. Hirche war in Mannheim ein geschätzter und kompetenter Berater sowie in die Geschehnisse um den Neubau engstens involviert. Auch wenn die Hochschulpläne nicht umgesetzt werden konnten, war während der Planungsphase viel entstanden und gefestigt worden. Schließlich baute Hirche 1963 bis 1965 sogar eine Villa auf dem Lindenhof, die in der vom Marchivum und dem Mannheimer Architektur- und Bauarchiv herausgegebenen Reihe Mannheim und seine Bauten 1907-2007 erwähnt wird. Zuvor wurde er Professor für Innenarchitektur und Möbelbau an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, später deren Rektor und Ehrenmitglied. Während seiner Hochschultätigkeit arbeitete er weiter als Möbel- und Industriedesigner mit verschiedenen Firmen zusammen.
Ebenso wäre es vorstellbar, dass die Bestuhlung des oberen Schauspielfoyers aus dem Umkreis von Le Corbusier (1887-1965) stammen könnte. Der schweizerisch-französische Architekt und Möbeldesigner entwarf gemeinsam mit Charlotte Perriand (1903-1999) auch Sitzmöbel. 1951 wurde ihm eine Ausstellung in der Kunsthalle gewidmet, was die Mannheimer Entscheider*innen inspiriert haben könnte.
Theoretisch könnten die Sessel des oberen Schauspielfoyers von vielen Designer*innen gestaltet worden sein. Sie thematisieren Grundzüge des Bauhaus-Designs, wenn sie zwei kubische Flächen in einem bestimmten Winkel kombinieren und mit einem Stahlrohrgestell verbinden. Diese Charakteristika wären auch bei dem Sessel Susanna zu finden, der von Gabriele Mucchi 1930 designt wurde. Einige Produkte, die auf das Bauhaus zurückgehen, werden mittlerweile weltweit vertrieben bzw. in neuen ästhetischen Ansätzen aufgegriffen. Auch Herbert Hirches Lounge-Sessel 445 ist noch käuflich zu erwerben. 2010 gestaltete Nicola von Albrecht zu Hirches Ehren die Ausstellung »strahlend grau herbert hirche zum 100. Geburtstag« im Werkbundarchiv – Museum der Dinge in Berlin. Der Museumsshop zeigte damals Hirche-Möbel als Re-Editionen sowie als Re-Design:
Die 12 Sitzmöbel sind auf 3 Teppichen in exakt überlegten Abständen gruppiert. Durch die Bezugnahme auf die Teppiche kann die Bestuhlung nach Nutzung schneller wieder in die vorgesehene Ordnung gebracht werden. Nach diesem Verfahren arbeitete man auch mit den Sesseln von Mies van der Rohe im Großen Foyer, die zu zweien auf Teppichflächen linear nebeneinander gereiht wurden.
Wer hatte das Design dieser Sessel geschaffen, die lt. Bestandslisten des Denkmalschutzes nicht mehr vorhanden sind? Vieles spricht dafür, dass sie von Herbert Hirche sein könnten. Hirche war in Mannheim ein geschätzter und kompetenter Berater sowie in die Geschehnisse um den Neubau engstens involviert. Auch wenn die Hochschulpläne nicht umgesetzt werden konnten, war während der Planungsphase viel entstanden und gefestigt worden. Schließlich baute Hirche 1963 bis 1965 sogar eine Villa auf dem Lindenhof, die in der vom Marchivum und dem Mannheimer Architektur- und Bauarchiv herausgegebenen Reihe Mannheim und seine Bauten 1907-2007 erwähnt wird. Zuvor wurde er Professor für Innenarchitektur und Möbelbau an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, später deren Rektor und Ehrenmitglied. Während seiner Hochschultätigkeit arbeitete er weiter als Möbel- und Industriedesigner mit verschiedenen Firmen zusammen.
Ebenso wäre es vorstellbar, dass die Bestuhlung des oberen Schauspielfoyers aus dem Umkreis von Le Corbusier (1887-1965) stammen könnte. Der schweizerisch-französische Architekt und Möbeldesigner entwarf gemeinsam mit Charlotte Perriand (1903-1999) auch Sitzmöbel. 1951 wurde ihm eine Ausstellung in der Kunsthalle gewidmet, was die Mannheimer Entscheider*innen inspiriert haben könnte.
Theoretisch könnten die Sessel des oberen Schauspielfoyers von vielen Designer*innen gestaltet worden sein. Sie thematisieren Grundzüge des Bauhaus-Designs, wenn sie zwei kubische Flächen in einem bestimmten Winkel kombinieren und mit einem Stahlrohrgestell verbinden. Diese Charakteristika wären auch bei dem Sessel Susanna zu finden, der von Gabriele Mucchi 1930 designt wurde. Einige Produkte, die auf das Bauhaus zurückgehen, werden mittlerweile weltweit vertrieben bzw. in neuen ästhetischen Ansätzen aufgegriffen. Auch Herbert Hirches Lounge-Sessel 445 ist noch käuflich zu erwerben. 2010 gestaltete Nicola von Albrecht zu Hirches Ehren die Ausstellung »strahlend grau herbert hirche zum 100. Geburtstag« im Werkbundarchiv – Museum der Dinge in Berlin. Der Museumsshop zeigte damals Hirche-Möbel als Re-Editionen sowie als Re-Design:
Dr. Laura Bettag
Bildnachweise, Literatur und Links:
- Kachelbild: MARCHIVUM, Bildsammlung, PK01710
- Erwin Piscator (1957). ‚Zu schade, daß Schiller diese Bühne nicht gekannt hat‘. In: baukunst und werkform. Eine Monatsschrift für alle Gebiete der Gestaltung. H. 8, Jg. X, S. 463-466.
- Nicola von Albrecht (2017). Herbert Hirche – Ein Protagonist der deutschen Nachkriegsmoderne. Dissertation verfügbar unter https://opus4.kobv.de/opus4-udk/frontdoor/index/index/docId/1303
- Gabriele Mucchi. Wikipedia-Artikel in: https://de.wikipedia.org/wiki/Gabriele_Mucchi
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