Zeitfenster Nr. 51

Ein Hut, ein Stock, ein Regenschirm

Als das Nationaltheater im Januar 1957 eröffnet wurde, war es Winter und noch entsprechend kalt. Die Temperaturen erforderten eine Kleidung, die vor Kälte und Nässe schützen konnte. Der Wintermantel war damals neben den geputzten Schuhen das Kleidungsstück, mit dem man zudem seine Seriosität unter Beweis stellen konnte. Passend gekleidet informierten sich die brennend interessierten Mannheimer*innen am Theatergeschehen vor Ort:
Drei männer von hinten. Sie schauen etwas durch ein Schaufenster an. Daneben lehnt ein Kartonschild mit der Aufschrift Für neugierige Besichtigung nach der eröffnung.
MARCHIVUM, Bildsammlung, Foto: Keese Steiger
Das Tragen von Kleidung in der Öffentlichkeit war zu dieser Zeit ungleich normierter als heutzutage. Zum Mantel gehörte in der Regel auch ein Hut für Herren bzw. eine adäquate Kopfbedeckung für Damen. Bei einer Berufstätigkeit, die nicht mit dem Tragen einer Uniform oder anderer Arbeitskleidung verbunden war, trug man am Arbeitsplatz den üblichen Straßenanzug bzw. das Straßenkleid. In der Nachkriegszeit konnten nicht alle Bevölkerungskreise mit diesen durchaus streng zu beachtenden Anforderungen Schritt halten. Der Deutsche Bundestag sorgte sich deswegen noch 1954 um ältere, arbeitslose Angestellte. Helfen wollte man
»mit der erforderlichen Berufskleidung, um den Angestellten auch äußerlich wettbewerbsfähig zu machen und Minderwertigkeitskomplexe auszuschalten. Zu dieser sehr wichtigen Frage ist festzustellen, daß bei Angestellten die Berufskleidung mit dem Straßenanzug identisch ist. Das gilt vom Anzug, Mantel, Hut, von den Schuhen und auch von der Unterkleidung. Wir wissen ja, daß die Angestellten nach jahrelanger Arbeitslosigkeit mit ihrer Kleidung mehr oder weniger herunter sind. Mögen sie noch so qualifiziert sein, dem äußeren Eindruck nach erwecken sie, wenn sie sich vorstellen, nicht allzuviel Vertrauen und werden dann meistens nicht angestellt.«
1957 sah die Lage in Mannheim offenkundig schon etwas besser aus. Intendant Hans Schüler schreibt in der Festschrift zur Eröffnung des neuen Theaters dazu:
»Die überwiegende Mehrzahl des Publikums hat das Bedürfnis, sich für den Theaterbesuch nett anzuziehen. Dazu sind keineswegs Frack und Abendtoilette notwendig, aber doch Kleidungsstücke, die alltags im Allgemeinen im Schrank zu hängen pflegen.«
Bei den Eröffnungsfeierlichkeiten gab es für die geladenen Gäste besondere Gelegenheit zu zeigen, was im Kleiderschrank auf seine Präsentation wartete. Man sah schwarze Anzüge bzw. auch Frack für die Herren und zumeist helle Kleidung für die Damen. Ältere Damen waren gedeckter gekleidet oder in einer Kombination aus schwarz und weiß. Bodenlange Roben waren die Ausnahme. Es überwogen Kleider in mittlerer Länge. Variationsmöglichkeiten bei den Herren bot die Wahl der Krawatte oder Fliege. Der modische Anspruch beschränkte sich aber auf die Damenmode. Man trug amerikanisch inspirierte Petticoats und Pumps. Auch Christian Diors New Look wurde verhalten umgesetzt: weiter Rock, schmale Taille und gerundete Schultern.
Menschen laufen eine Treppe ins Foyer hinunter.
MARCHIVUM, Bildsammlung, KF010830
Beliebt waren die Abendhandschuhe dazu. Geprotzt wurde in Mannheim nicht. Der Krieg war vorbei, der Schmerz nicht. Ein wenig Balsam für die Seele erhoffte man sich durch ein spezielles Outfit nur für das Theater. Steigerungsmöglichkeiten gab es bei der Wahl glänzender Elemente auf den Kleidern bzw. den Abendhandtaschen. Real vorhandene Standesunterschiede wurden lediglich diskret zur Schau gestellt und verwiesen eher auf den individuellen Geschmack der Damen. Im Umfeld der Oberbürgermeister Reschke und Heimerich fallen besonders die eleganten Stolen aus feinen Geweben auf:
Menschen stehen im Foyer beieinander und unterhalten sich.
MARCHIVUM, Bildsammlung, KF001736
Diese zarten Accessoires behielt man auch während der Vorstellung an. Im Zuschauerraum sah man Damen mittleren Alters mit Hut. Wer es sich leisten konnte, trug Pelzmantel, der an der bewachten Garderobe von der männlichen Begleitung abgegeben und wieder gebracht wurde. Auf dem Kachelbild ist ein Persianer zu sehen. Die Nerzstola (in verschiedenen Größen) konnte hingegen auch während des gesamten Opernbesuchs ausgeführt werden.
Aus dem üblichen Rahmen durfte man fallen, wenn man ein Star wie Caterina Valente (ZF 29) oder die Stellvertreterin eines Stars, wie Joana Maria Gorvin (ZF 8) war. Sie wählte bei der Verleihung des Schiller-Preises an Jürgen Fehling ein Ensemble mit plissiertem Rock. Bei der internen Feierlichkeit im Rosengarten legte sie dann die Nerzstola um die Schultern. Den unangefochten höchsten Glamour-Faktor brachte Caterina Valente aufs Parkett. Ihr bodenlanges Brokatgewand mit seidig glänzenden Passen am Dekolletee toppte alles. Ein um den Hals drapierter Seidenschal war Bestandteil einer zweiteiligen, ebenso glänzenden Stola mit passenden Handschuhen. Des Weiteren unterstrich ein silbernes Abendtäschchen die enorme Ausstrahlung der Künstlerin adäquat.
Dieser Anflug internationalen Glanzes inspirierte auch den Mannheimer Handel. Eine Einladung aus dem Jahre 1960 zeigte den wachsenden Anspruch und den Aufwand, den die Mannheimer*innen ihrem gesellschaftlichen Auftritt widmeten. Die grafische Gestaltung stammte von dem seit 1956 in Mannheim lebenden Künstler Edgar Schmandt (1929-2019):
zwei braune Vögel berühren mit ihren Schnabeln die vertikale schrift: rendevous.
MARCHIVUM, Bildsammlung, AB05524-033
Für Internationalität sorgte zur damaligen Zeit in Mannheim vor allem die amerikanische Militärregierung. Bei der Eröffnung 1957 gestaltete sich deren Auftritt so:
zwei militärsoffiziere, zwei Frauen und ein Man in Abendkleidung stellen sich für ein Gruppenbild auf.
MARCHIVUM, Bildsammlung, KF014922
Die Damen überraschten mit Kurzhaarschnitt und Brille, die sie mit heller, festlicher Kleidung inklusive Ansteckblumen und Schleifendetails kombinierten. Das Stilmittel des starken Kontrasts nutzte eine Dame durch schwarze Abendhandschuhe und dem Abendtäschchen. Die rechte Hand war wahrscheinlich zu Begrüßungszwecken entblößt worden. Ob Handkuss üblich war, wurde auf den Fotografien nicht dokumentiert. Oberbürgermeister Dr. Hans Reschke machte auch in Zivil Bella Figura und wusste mit glänzendem Revers und Einstecktuch Akzente zu setzen. Was vom einstigen »Schmuck« des deutschen Mannes übrig blieb, waren Orden und Ehrenzeichen. Dr. Hans Schüler trug das ihm zur Eröffnung frisch verliehene Bundesverdienstkreuz mit einem gewissen Stolz (ZF 25). Viel Engagement und Arbeit lagen bis zur Eröffnung des Theaters hinter allen Beteiligten! Anlässlich einer Werbeveranstaltung für den Neubau sah man Herrenoberbekleidung in üblicher, aber doch gehobener Konformität. Über dem dunklen Anzug mit Krawatte trug man(n) einen hellen Übergangsmantel mit Hut und Aktentasche. OB Heimerich überragte seine Mitstreiter durch den Hut eindeutig, so dass er lässig beide Hände in die Hosentaschen stecken konnte. Die Akten führte womöglich Kulturdezernent Christoph Andritzky mit sich (links neben ihm).
Menschen stehen in kleinen Gruppen beieinander und unterhalten sich.
MARCHIVUM, Bildsammlung, KF010575
Beim Besuch des Theaters nach der Eröffnung war es ebenso unumgänglich, seine Alltags- bzw. Arbeitskleidung zu Hause zu lassen. Hans Schüler bringt es so auf den Punkt: »Will man sich nicht umziehen, geht man lieber ins Kino.« Aus heutiger Sicht sind diese Kleidersitten beim Theaterbesuch längst überholt. Spätestens in den 70er-Jahren wurde es üblich, z. B. eine Schauspiel-Vorstellung so zu besuchen, wie man es selbst für angemessen hielt. Diese Entwicklung hatte Folgen. 1972 wurde die Garderobe des Kleinen Hauses abgebaut und durch Garderobenschränke ersetzt. Änderungen bewirkte auch die Tierschutz-Organisation PETA in den 90er-Jahren. Damenpelze werden an der Opernhaus-Garderobe nur noch sehr selten gesichtet.

Dr. Laura Bettag
Bildnachweise, Literatur und Links:
  • Kachelbild: MARCHIVUM, Bildsammlung, KF014812
  • Nationaltheater Mannheim (Hg.)(1957). Das Neue Nationaltheater. Festschrift zur Eröffnung des neuen Mannheimer Nationaltheaters am 175. Jahrestag der Uraufführung der »Räuber«, S. 157.
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