Zeitfenster Nr. 11

Das Dritte Programm des NTM in der Kunsthalle

Nach dem Ende des 2. Weltkriegs konnte im zerstörten Nationaltheater in B 3 nicht mehr am üblichen Ort Theater gespielt werden. Man suchte daher nach Ersatzspielstätten. Bereits ab Juli 1945 wurde mit Zustimmung der amerikanischen Militärregierung in den ehemaligen Kinos UFA-Palast und der Schauburg der Theaterbetrieb aufgenommen. Auch das Rokoko-Theater in Schwetzingen und der Rosengarten wurden genutzt. Ein heute weniger bekannter Spielort war die Mannheimer Kunsthalle. Wir kennen die Programme und Aufführungszahlen der ab 1951 im Vortragssaal des »Studio Kunsthalle« gegebenen Aufführungen und Veranstaltungen. Es finden sich neben einer Komödie von Albert Klein-Noack die Früchte des Nichts von Ferdinand Bruckner (1891 – 1958), der 20 Jahre nach Flucht und Emigration wieder nach Deutschland zurückgekehrt war. Stark vertreten sind in die deutsche Sprache übertragene Mannheimer Erstaufführungen von Jean-Paul Sartre, Thomas Stearns Eliot, Jean Giraudoux und Christopher Fry.
Die Vorstellungen des Studios Kunsthalle sowie das spätere »Dritte Programm« wurden von der Gesellschaft der Freunde des Mannheimer Nationaltheaters(der jetzigen Freunde und Förderer) unterstützt. Deren 1. Vorsitzender Carl Reuther schrieb damals in der Festschrift:
»sie (die Gesellschaft) setzte sich immer wieder für die Durchführung von literarischen Abenden, Morgenfeiern, öffentlichen Diskussionen und Vorträgen ein, die den Spielplan des Theaters abrunden und seine geistige Mission unterstreichen.«
Das durch den Dramaturgen, Regisseur und späteren Intendanten Dr. Claus Helmut Drese (1922 - 2011) geprägte Programm wurde vom Publikum eher mäßig goutiert. Mit verbilligten Eintrittspreisen versuchte man ein »erlesenes Stammpublikum« zu bilden und es für »anspruchsvolle Experimente« zu interessieren.
Auszug aus der Festschrift, S. 207
Der Mannheimer Morgen lobte die Zielsetzungen des Studios Kunsthalle. Man sah darin ein gelungenes Mittel »das moderne Schaffen dem Publikum zugänglich zu machen«. Kurt Weigand schrieb 1953 anlässlich der Premiere von Christopher Frys Ein Phönix zuviel sogar davon, so »ein poetisches ‚Austernessen‘ zu veranstalten, die erst recht munden, wenn man von dem anderen (allzu bekannten) übersättigt ist«.
Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Theater des Nationalsozialismus wurde nicht unbedingt offen thematisiert, wenngleich Carl Zuckmayers Des Teufels General schon 1948 in der Schauburg 34-mal gespielt wurde. Das Nachkriegstheater sah sich auch in Mannheim stattdessen der Wiedergeburt des sog. besseren Deutschland und der modernen Dramatik der Westalliierten verpflichtet. Im Dritten Programm bot man demzufolge gemischte »Häppchen«, die man lose mit Werken und Autoren des allgemeinen Spielplans verband. Durch die szenischen Lesungen hoffte man, das Publikum zum Nachdenken anzuregen. Alle Sparten steuerten Angebote bei. Es gab Vorträge der Choreografin Mary Wigman oder eine Veranstaltung mit dem Komponisten Carl Orff zu dessen 60. Geburtstag. Auch dem Unterhaltungsbedürfnis trug man Rechnung. Wenn auch nur vereinzelt, traten Stars wie Erich Ponto und Edith Heerdegen auf, die schon in Nazi-Deutschland Erfolge gefeiert hatten.
Das Dritte Programm verzeichnete 39 Produktionen, wobei 23 dem Schauspiel zugeordnet werden können. Für die geistige Mission (Reuther) war somit vorwiegend das Sprechtheater zuständig. Neben den Spielstätten im Rosengarten und der Kurpfalzstraße fanden 15 Produktionen in der Kunsthalle statt. Die Sparte Ballett war bemerkenswert häufig vertreten. Am 16. Oktober 1956 wurde das Dritte Programm mit einem »Solisten-Abend des Balletts« im Rosengarten beendet.
Rückblickend erscheint die Konzeption des Dritten Programms wie eine Vorwegnahme der Entwicklung im deutschen Fernsehen seit Mitte der 60er-Jahre. Werbefrei wurden Aspekte von Bildung, Kultur und Regionalität verbunden.
Im Nationaltheater begann das »Studio Werkhaus« sechzehn Jahre später 1972 in der Mozartstraße seinen Spielbetrieb. Am 18. und 19. November 2022 feierte es sein 50. Jubiläum.

Dr. Laura Bettag
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