Zwischen Abschied und Aufbruch

Ein Gespräch mit den Intendanten Albrecht Puhlmann, Christian Holtzhauer und Stephan Thoss über den Auszug aus dem Spielhaus am Goetheplatz und neue Herausforderungen
Blick auf das Spielhaus am Goetheplatz am Tag.
Spielhaus am Goetheplatz | Foto: Christian Kleiner
Lieber Albrecht Puhlmann, lieber Christian Holtzhauer, lieber Stephan Thoss, die Zeit am Goetheplatz neigt sich dem Ende zu. Was wird Ihnen am meisten fehlen?

Albrecht Puhlmann: Spontan gesagt wird uns und unserem Ensemble der Ort fehlen, für den das große und unglaublich breit gefächerte Mannheimer Repertoire geschaffen wurde. Der fantastische Bühnenraum, in dem 65 Jahre Theatergeschichte lebendig und spürbar sind.

Christian Holtzhauer: Mir wird die räumliche Nähe im Spielhaus fehlen, die Begegnungen hinter den Kulissen mit den Ensembles der anderen Sparten, dieses Vibrieren des ganzen Hauses, wenn Opern- und Schauspielhaus parallel bespielt werden und beide ausverkauft sind.

Stephan Thoss: Natürlich ist das Spielhaus am Goetheplatz unser Zuhause. Noch größer ist jedoch unsere Freude, dass wir an anderen Orten für so viele Theater- und Tanzinteressierte wie möglich tanzen können werden. Es entspricht unserer Kunst, in Bewegung zu sein. Bevor wir die neuen Bühnen bespielen, wollen wir uns gebührend vom Spielhaus am Goetheplatz verabschieden.

Was erwartet das Publikum am Wochenende vom 23. und 24. Juli?

Christian Holtzhauer: Ein großes Fest mit allen Sparten mit persönlichen Begegnungen, ungewohnten Perspektiven, den schönsten Erinnerungen an die Geschichte dieses Gebäudes. Albrecht Puhlmann: Wir freuen uns auf Begegnungen und Gespräche mit unserem Publikum, auf Erinnerung und Ausblick.

Stephan Thoss: Im Tanz werden wir ein öffentliches Training präsentieren und zeigen Highlights aus unseren jüngsten Premieren.

Albrecht Puhlmann: Am Samstagabend erwartet Sie auf der Opernhausbühne zudem eine große Auktionsgala, bei der Sie Theaterraritäten und Kuriositäten erwerben können.

Stephan Thoss: Neben Requisiten und Kostümen versteigern wir Original-Notationen meiner Tanzstücke »Der Tod und das Mädchen« und »Mozart«. Und im Ballettsaal gibt es ein großes Miteinander. Alle können mit unseren Tänzer*innen zusammen tanzen.
»Es entspricht
unserer Kunst, in
Bewegung zu sein.«

Stephan Thoss
Im Rahmen des Auszugsevents wird Christian Weise die gesamte Bühne und den Zuschauerraum des Schauspielhauses bespielen – wie einzigartig ist die Gelegenheit, den Raum so zu nutzen?

Christian Holtzhauer: Im Repertoirebetrieb ist es kaum möglich, das Schauspielhaus auf so flexible Weise zu nutzen, wie es dem Architekten ursprünglich vorschwebte. Für unseren Abschied aus dem Haus nehmen wir uns die Zeit, das Schauspielhaus umzubauen, um besonders intensive Theatererlebnisse zu ermöglichen und den Schauspieler*innen viel näher als sonst üblich zu kommen.

Raum und Zeit werden auch in Richard Wagners monumentalem »Ring«-Zyklus auf den Kopf gestellt. Mit der »Götterdämmerung« am Samstag, den 30. Juli 2022 verabschiedet sich die Oper aus dem Spielhaus am Goetheplatz. Wie kam es zu dem Projekt?

Albrecht Puhlmann: Gemeinsam mit Alexander Soddy hatten wir immer vor, den »Ring des Nibelungen« auf die Bühne zu bringen. Schon in den letzten beiden Jahren hätte dafür der »Ring« in der Version von Achim Freyer Stück für Stück wiederaufgenommen werden sollen. Wir haben beschlossen, einen neuen, tollkühn erscheinenden Weg zu gehen. Zusammen mit der Regisseurin Yona Kim haben wir ein Konzept entwickelt, das kreativ und mit großer Imaginationskraft mit den Gegebenheiten umgeht. Mit einem »Ring« aus einem Guss feiern wir unseren Abschied aus dem Haus am Goetheplatz.

Davor erleben wir am 2. Juli eine Tanzpremiere: einen temporeichen Doppelabend mit dem rasanten Titel »Speed«. Herr Thoss, Sie steuern eine Uraufführung bei. Was reizt Sie an dem Thema »Speed«?

Stephan Thoss: Heute wird vielem wenig Zeit gelassen. Ich bewege mich von A nach B. Dabei führe ich gleichzeitig ein Telefonat und tue etwas gegen meinen Hunger. Das ist heute Alltag. »Speed« verstehe ich so als einen Druck, der nach innen wirkt, um die vorhandene Zeit auszuschöpfen. Dabei ignorieren wir aber die Rhythmen, die uns die Natur vorgegeben haben. Mich reizt, von dem »Speed« in unserem Leben zu erzählen.
»Ich empfinde diese Phase des Übergangs als eine Zeit des Tatendrangs, der Neugier und vor allem des Aufbruchs.«
Christian Holtzhauer
Bis die neuen Spielstätten eröffnet werden, dauert es noch etwas. Wie blicken Sie auf die Zeit zwischen Auszug und Einzug?

Stephan Thoss: Ich blicke auf eine arbeitsreiche Zeit, denn wir planen zur Wiedereröffnung des NTM Tanzhauses als Spielstätte im Oktober ein tolles Event mit Tanzpremiere. Hierfür bauen wir eine neue Zuschauertribüne ein. Insofern blicke ich mit Freude auf diese Zeit und auf alle, die uns besuchen werden.

Albrecht Puhlmann: Wir haben eine große Herausforderung vor uns, nämlich ein Gesamtgastspiel von Ensemble, Orchester, Chor und Technik in Daegu, Südkorea. Im Oktober zeigen wir im Rahmen des »Daegu International Opera Festival« einen Ring-Zyklus. Der Einzug in die neuen Spielstätten und die Eröffnung der Oper am Luisenpark (OPAL) stehen am 17. Dezember 2022 an – wiederum mit einem Fest der Oper und des Gesangs, einem Theaterspektakel in der Regie von Lorenzo Fioroni.

Christian Holtzhauer: Im Schauspiel beginnen wir die Spielzeit mit einer neuen Premiere auf unserer rollenden Bühne, dem NTM-Theatertruck. Selbstverständlich werden wir auch das Studio Werkhaus bespielen. Und in unserem neuen Theater, dem Alten Kino Franklin, gibt es noch jede Menge zu tun, bis wir die Türen öffnen können. Ich empfinde diese Phase des Übergangs als eine Zeit des Tatendrangs, der Neugier und vor allem des Aufbruchs. Und darauf freue ich mich sehr.
»Wir freuen uns auf Begegnungen und Gespräche mit
unserem Publikum, auf Erinnerung und Ausblick.«

Albrecht Puhlmann

Veröffentlich im Theatermagazin Juli 2022
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