Für das Orchester graben

Über 100 Planstellen hat das Nationaltheaterorchester. Insgesamt neun Proberäume und ein Probesaal stehen den Musiker*innen an ihrem Arbeitsplatz im Nationaltheater zur Verfügung. Die Raumsituation ist ein echtes Problem und einer von vielen Gründen, warum das Haus am Goetheplatz generalsaniert werden muss.

Das Platzproblem hat viele Facetten, wie Johanna Pschorr, Vorstandsmitglied des Orchesters, bei einem Rundgang durch den Orchestertrakt erklärt. Durch einen der schmalen Gänge geht sie voraus zum Probesaal, dessen Volumen weit unter der Mindestgröße liegt, welche die Gesetzliche Unfallversicherung (GUV) für die Anzahl an Musiker*innen definiert.

Mit der Generalsanierung wird nicht nur für eine angemessene Größe gesorgt, es wird auch ein dreigeschossiges Instrumentenlager mit Lastenaufzug entstehen. Weil es daran aktuell fehlt, stapeln sich entlang der hinteren Wand des Probensaals Kisten, Stühle, Schlagwerk und Tasteninstrumente. Der übrige Platz wird nicht nur vom Orchester genutzt: Auch im Chorprobesaal ist es schon unter regulären Bedingungen zu eng – den aktuellen Abstandsregelungen ist der Platz absolut nicht gewachsen. Daher weicht der Chor häufiger in den Orchesterprobensaal aus. »Natürlich muss man in diesen Zeiten zusammenhalten, aber so werden die Zeitslots für die Nutzung immer enger«, erklärt Pschorr.

Mehr Platz ist auch für die Orchesterproberäume geplant. Während der Generalsanierung wird ihre Anzahl von 9 auf 19 wachsen. Dass dies nötig ist, wird deutlich, als Johanna Pschorr den Harfenproberaum aufschließt, der gleichzeitig als Damengarderobe dient. Im schmalen Korridor des Raums stehen zehn Spinde wie Sardinen in der Dose nebeneinander. »Vor großen Produktionen tritt man sich hier auf die Füße«, sagt sie. Zudem sind die Räume sehr hellhörig. »Wäre jemand im Nachbarraum, würde die Person uns reden hören«, gibt Johanna Pschorr im Streicherproberaum zu bedenken. Obwohl sie durch die Maske spricht, hallen ihre Worte im Raum wieder. »Musik hier drin ist unfassbar laut. Wenn ich ein oder zwei Stunden in so einem Raum übe, tun mir danach die Ohren weh«, führt sie aus.
Wegen der Lautstärke dürfen die Orchestermusiker*innen einige Räume während der Vorstellungen gar nicht nutzen. Man würde sie im Opernhaus hören. Das beeinträchtigt die Vorbereitung auf Produktionen massiv. Durch diese Einschränkung üben viele lieber zu Hause. Doch das ist nicht allen möglich: »Wenn man, wie viele der jungen Kolleg*innen, in einer Mietwohnung in der Innenstadt wohnt, ist man auf Räume im Theater angewiesen«, erklärt das Vorstandsmitglied.

Besonders schwierig ist die Raumsituation vor Proben, wenn sich Johanna Pschorr und ihre zehn Blechbläserkolleg*innen zeitgleich warmspielen müssen. Für präzise und klare Töne muss beispielsweise der Ansatz, also die Verbindung zum Instrument und die Gesichts- und Mundmuskulatur, aufgewärmt werden. Einige weichen dafür in die Gänge des nahegelegenen Bunkers aus. »Was die Umstände angeht, wird man hier unten sehr anspruchslos«, ruft die Posaunistin, um das Gedröhne einer Lüftungsanlage zu übertönen. Pianostellen kann man hier abschreiben. »Wenn Musiker*innen keinen richtigen Raum zum Üben haben«, erklärt sie, »kann auch die Qualität leiden«. Qualität und Kraft müssen vor allem bei wechselndem Repertoire jederzeit abrufbar sein. Je höher das Leistungsniveau, desto wichtiger die gründliche Vorbereitung. Einen Marathon läuft man schließlich auch nicht ohne Aufwärmen und regelmäßiges Training. Um das professionell zu ermöglichen, ist die Generalsanierung dringend notwendig.

von Katharina Schantz

Bildstrecke Orchester

Ein mit Instrumenten vollgestellter Raum
Der ohnehin zu kleine Orchesterprobesaal wird aus Platzmangel als Instrumentenlager benutzt | Foto: Katharina Schantz
Ein alter Plastikstuhl steht vor einer unverputzten Wand
Die provisorischen Übeplätze im Bunker sind kalt, nass und es herrscht Durchgangsverkehr | Foto: Katharina Schantz
Ein sehr enger Raum. Auf der linken Seite sind Waschbecken auf der rechten Seite Schränke.
Wenn sich vor den Vorstellungen elf Musikerinnen in diesem Einspielzimmer umkleiden müssen, stehen sie nebeneinander wie Sardinen in der Dose | Foto: Maximilian Borchardt
Ein Mann hält ein Fagott in der Hand und läuft in geduckter Haltung eine Treppe runter. Unten ist die Decke sehr niedrig. Er kommt in einen Rohbau
Der gelbe Schaumstoff an der Decke des beschwerlichen Arbeitswegs dient dem Schutz der Instrumente und Köpfe, da die Übergangshöhe zwischen Treppe und Flur zu niedrig ist | Foto: Hans-Jörg Michel

Kontext

Ein Interview mit Marcus Augsburger, dem Leiter der Geschäftsstelle für die Generalsanierung


Herr Augsburger, warum muss der Orchesterbereich umgebaut werden?
Gebäude und Probesaal wurden in den 1950er Jahren nicht für die heutige Anzahl an Beschäftigten konzipiert. Alle Musiker*innen müssen sich bei den Proben gegenseitig hören und verstehen können. Damit das nicht auf Kosten des Gesundheitsschutzes geht, werden pro Musiker*in laut GUV ca. 30 m3 an Raumvolumen benötigt. Bei ungefähr 100 Planstellen braucht man also ein Volumen von 3.000 m3- das entspricht der Größe einer klassischen Schulturnhalle. Im bestehenden Orchesterprobesaal sind es circa 1.300 m3.


Wie wird das derzeit gehandhabt?
Arbeitsschutz sowie teilweise auch Brandschutz sind im Orchester- und Chorprobesaal momentan rechtlich nur geduldet – und das nur unter der Bedingung, dass die Generalsanierung durchgeführt wird. Wir haben für das Gebäude eine Nutzungserlaubnis bis zum 31.12.2022. Bis dahin muss die Generalsanierung begonnen haben, sonst droht eine Nutzungsuntersagung.
Wie wird noch auf die Arbeitssicherheit der Musiker*innen geachtet?
Wir arbeiten mit einem Spezialakustiker zusammen, der die Räume so gestaltet und ausstattet, dass Lautstärke und Schalldruck zum Schutz der Musiker*innen den rechtlichen Vorgaben entsprechen und gleichzeitig die beste Akustik herrscht. Die neuen Proberäume und das Instrumentenlager werden klimatisiert und belüftet, sodass die Luftfeuchtigkeit reguliert werden kann, um beispielsweise die Instrumente zu schonen. Außerdem wird es flächendeckend Brandmelde- und Sprinkleranlagen für den Brandschutz geben.


Warum braucht man für die Sanierungsarbeiten vier Jahre?
Ein Großteil der Maßnahmen, zum Beispiel der Bau von Orchester- und Chorprobesaal, geschieht unterirdisch. Das Nationaltheater steht nur zu zwei Dritteln auf dem Bunker, der Rest steht auf Bohrpfählen, die bis zum tragfähigen Grund reichen. Daher braucht man für den neuen Orchesterprobesaal eine aufwändige Baugrube, mit der das Bestandsgebäude unterfangen werden kann. Weil Rhein und Neckar ein Schwemmgebiet bilden, muss sie wasserdicht sein. Außerdem werden die Bagger den Boden nur zentimeterweise abtragen können, weil vom Krieg übrig gebliebene Kampfmittel in der Erde lagern könnten. Es ist ein durchaus komplexes Unterfangen.

Der neue Orchesterproberaum

Das Architekturbüro Schmucker und Partner Planungsgesellschaft mbH ist mit der Planung für die Sanierung des Spielhauses am Goetheplatz beauftragt. Im Zuge dessen sind Renderings entstanden, die den finalen Orchesterproberaum visualisieren. Dessen Bau geschieht unterirdisch, wofür eine aufwändige, wasserdichte Baugrube entstehen wird, mit der das Bestandsgebäude unterfangen werden kann.
Visualisierung des Orchesterprobensaals. Ein heller großer Raum mit viel Holz
Visualisierung des Orchesterprobensaals. Ein heller großer Raum mit viel Holz
Renderings: Schmucker und Partner

Veröffentlicht im Theatermagazin Januar 2022
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