Ost-Talk Arbeit: Der wahre Preis der Arbeits­migration

Podiumsdiskussion in Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg

Wir hören immer wieder: Mit dem Fachkräftemangel ist Deutschland heute mehr denn je auf die Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Trotzdem bedeutet die Realität von Arbeitsmigrant*innen aus Mittel- und Osteuropa in Bereichen wie Pflege, Bauwesen oder Landwirtschaft nach wie vor Unsicherheit, prekäre Job- und Wohnverhältnisse, soziale Isolation und Unterbezahlung. Allein in der Pflege sind in Deutschland geschätzt zwischen 300.000 und 600.000 Menschen tätig – größtenteils Frauen – , die oft ihre Klient*innen rund um die Uhr betreuen, ohne eine angemessene Vergütung für Überstunden zu erhalten.

Was auf den ersten Blick wie die Möglichkeit von Bewegungsfreiheit, wirtschaftlichem Aufschwung und höheren Lebensstandards für alle aussieht, ist in der Realität mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert. Von Seiten der deutschen Wirtschaft und Bevölkerung mangelt es an finanzieller und sozialer Anerkennung für die dringend benötigten Arbeitskräfte.

Im Gespräch der Journalisten und Moderatorin Julia Boxler mit der Sozialwissenschaftlerin Ewa Palenga-Möllenbeck, der tschechischen Journalistin und Dokumentarfilmerin Apolena Rychlíková und Justyna Oblacewicz von der DGB-Beratungsorganisation »Faire Mobilität« sprechen wir über die Arbeitsmigration aus Mittel- und Osteuropa und blicken dabei besonders auf den generell vernachlässigten Sektor der Pflege und Sorgearbeit (»Care«). Welche Abhängigkeiten und Ungleichgewichte entstehen und welche Auswege sind möglich?
Mit:
Justyna Oblacewicz wurde 1981 in Polen geboren und ist 1993 im Alter von 12 Jahren nach Deutschland zu ihrer Mutter ausgewandert.
Ihr Abitur hat sie in Frankfurt am Main und ihr Studium der Soziologie in Marburg abgeschlossen. Seit 2016 ist sie bei der DGB-Beratungsorganisation »Faire Mobilität« beschäftigt. Zuerst war sie als polnischsprachige Beraterin in Dortmund mit dem Fokus auf die Fleischindustrie (Beratung von Werkvertragsarbeiter*innen im Schlachthof) tätig. Ab 2018 war Oblacewicz in Berlin Referentin der Leitung und schließlich ab 2021 Koordinatorin für den Bereich häusliche Betreuung sowie Beraterin in polnischer Sprache. Mit dem Thema Arbeitsbedingungen von häuslichen Betreuungskräften beschäftige sie sich seit 2018 bis heute.

Dr. Ewa Palenga-Möllenbeck ist Soziologin und leitet zurzeit das von der VolkswagenStiftung finanzierte internationale Forschungsprojekt »CareOrg« (Transnationale Organisation der Altenpflege, Arbeit und Mobilität in Mittel- und Osteuropa) am Institut für Soziologie und dem Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung (CGC) der Goethe-Universität Frankfurt. Ursprünglich aus Polen stammend, hat sie an den Universitäten Breslau und Bochum studiert, wo sie in Sozialwissenschaften promoviert wurde; das Thema ihrer Dissertation war die Rolle Oberschlesiens als eine historische Grenzregion für die transnationale Migration. Nach der Promotion hat sie sich mit Migration und Geschlecht beschäftigt, wobei sie sich vor allem auf die Fragen des Alterns, transnationaler Familien, Wohlfahrts-/Politikanalysen und soziale Ungleichheiten spezialisiert hat. Das Thema Care war dabei stets zentral für ihre wissenschaftliche Arbeit. Ein früheres, 2010 abgeschlossenes internationales Projekt zu globalen Pflegeketten von der Ukraine nach Polen und von Polen nach Deutschland untersuchte den Wandel von Pflegearrangements und Geschlechterverhältnissen sowie die Umverteilung von Pflegearbeit im Kontext weiblicher Migration. In einer explorativen Pionieerstudie zu »New Butlers« (2011–2012) hat sie bezahlte häusliche Dienstleistungen aus der Perspektive der Männlichkeitsforschung untersucht.

Apolena Rychlíková ist eine preisgekrönte tschechische Journalistin und Dokumentarfilmerin. Sie war die erste tschechische Frau, die für den European Press Prize nominiert wurde. Ihre Arbeit konzentriert sich auf Fragen der sozialen Ungleichheit, der Arbeit und des Arbeitsmarktes, des Genders, der Stellung von Minderheiten, des Wohnungswesens und sie ist auch eine politische Kommentatorin und Analytikerin. Ihre investigative Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf die Aufdeckung von Fällen sexueller Gewalt. Neben ihrer journalistischen Arbeit arbeitet sie mit führenden Medien an Podcasts und Filmen, die auf bedeutenden Filmfestivals (CPH:DOX, Hot Docs) in aller Welt gezeigt werden. Sie ist Mitautorin mehrerer preisgekrönter Bücher und Dozentin an der Prager Academy of Performing Arts.

Moderation:
Julia Boxler
Geboren in Kasachstan, ist Julia Boxler 1996 mit 10 Jahren als Spätaussiedlerin nach Deutschland migriert und in Königs Wusterhausen aufgewachsen. Sie hat mit »X3« den ersten deutschen Podcast zu »Post-Ost«-Identitäten mitgegründet. Sie ist Moderatorin, Speakerin und Jurorin zu Themen rund um »Post-Ost«, konzipiert und moderiert Festival- und Talkformate, ist im Team der Arte-Sendung »Tracks East«, das für den Deutschen Fernsehpreis nominiert wurde und war Co-Kuratorin der Ausstellung »POSTOST: Україна / Ukraine«. Des Weiteren war sie mehrere Semester Gastdozentin an der Universität zu Köln. Nach den Dreharbeiten zu ihrem Debütfilm »bye bye baby« zog sie nach Almaty in Kasachstan, wo sie zwei Jahre lang als Journalistin lebte. Anschließend arbeitete sie als Gräfin-Marion-Dönhoff-Stipendiatin des Auswärtigen Amtes bei dem russischen Oppositionssender TV Rain/Dozhd. Sie lebt in Berlin.

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