Zeitfenster Nr. 40

Als der Mannheimer Handel Werbung für das Nationaltheater machte…

Das Nationaltheater Kurfürst Carl Theodors diente wie die Hofoper und die Theater in Schwetzingen in erster Linie der Repräsentation seiner höfischen Welt. An zweiter Stelle rangierte der Aufbau eines leistungsfähigen Theaterbetriebs, das den modernen Forderungen nach Stücken in deutscher Sprache nachkommen konnte. Durch den Aufbau eines eigenen Ensembles für das neue Haus auf B 3 mischten sich gesellschaftliche Errungenschaften des Adels mit denen des aufkommenden Bürgertums. Das neue Gebäude wurde mit einem Bildprogramm ausgestattet, dass die besten Autoren und Komponisten in Form von Wandmedaillons verewigte. Zu diesen Genies sollte man später auch im Theaterrestaurant aufschauen (ZF 34). Sie wiesen einen Bezug zu Mannheim auf, indem ihre Stücke dort gespielt wurden oder sie zeitweise in Mannheim gearbeitet hatten. Nachdem der Kurfürst seine Residenz nach München verlegen musste, veränderte sich die Repräsentations- zu einer Erinnerungs-Kultur. Man stellte Statuen des Intendanten Heribert von Dalberg, Friedrich Schiller (mittig!) sowie August Wilhelm Iffland vor dem Nationaltheatergebäude auf. Die Inschrift auf dem Denkmal des Schauspielers, Dramatikers und späteren Berliner Intendanten Iffland lobt ihn als »Vertreter der Mannheimer Buehne groessten Bluethe«. Bezahlt hatte die Plastiken dem Vernehmen nach Ludwig der I., der 1786 geboren wurde und bis 1794 in der Nähe des alten Nationaltheaters gelebt hatte. Neben dem üblichen Bauschmuck aus antiken Dichtern, Götterpersonal und barocken Erscheinungen sowie dem Sophokles-Tondo, der die Mitte des Proszeniums (ZF 19) markierte, bildeten sich die drei »Säulenheiligen« Dalberg, Schiller und Iffland als Gründerväter einer ruhmreichen Theatergeschichte heraus. Insbesondere an Schillers Geburts- und Todestag bzw. der sich jährenden Uraufführung seiner Räuber feierte man in Mannheim gut und gerne. Als Gründungsjahr des Theaters fungierte das Jahr 1779, obwohl Dalberg schon vorher Intendant war und es bereits zuvor ein professionelles Theaterleben gegeben hatte.
Das Feiern von Theaterjubiläen jeglicher Art sowie der Wiederkehr der Stadtgründung 1607 kann durchaus als frühe Form eines Stadtmarketings gesehen werden. Für das Nationaltheater galt die Personalisierung Dalberg, Schiller und Iffland – for ever!
Nach der Zerstörung des alten Nationaltheatergebäudes im 2. Weltkrieg dauerte es nicht lange, bis die Mannheimer Bevölkerung »ihr« Nationaltheater und damit das Symbol ihrer städtischen Identität wiederhaben wollte. In den 50er-Jahren startete man eine professionelle Werbekampagne zur Generierung der finanziellen Mittel für einen Neubau. Daran beteiligte sich neben einem Heer von Akteuren auch der Mannheimer Handel – vornehmlich die Branchen Textil und Schmuck. In ihren Schaufenstern inszenierten sie das, was sie für Theater hielten in Kombination mit den entsprechenden Luxusgütern: Perlenschnüre, edle Stoffe, Fräcke, Zylinder, Pelze oder Operngläser. Nach der entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegszeit wollte man wieder etwas darstellen! Das historisierte Nationaltheater sollte dafür den passenden Rahmen liefern. Ein Reiterstandbild, Schaufensterpuppen mit barockisierenden Kostümen und dazwischen eine Schiller-Büste symbolisierten Mannheims Theater. Allerdings hatte man zwischenzeitlich erkannt, dass die Theatergeschichte nicht bei Dalberg, Schiller und Iffland stehengeblieben war. Man fügte zwischen edel drapierten Stoffen und Perlengeschmeide drei weitere »Mannheimer« Stars hinzu: den Schauspieler Albert Bassermann (1867-1952), den Dirigenten Wilhelm Furtwängler (1886-1954) und den Schauspieler Willy Birgel (1891-1973):
MARCHIVUM, Bildsammlung, AB00667-012
Die drei historisierenden Medaillons enthielten deren Fotos mit Bildunterschriften zu Name und Funktion dieser Gewährsmänner Mannheimer Theaterkultur. Auch wurde verzeichnet, wann sie nach Mannheim kamen bzw. dort gewirkt hatten. Etwas bis dato Unbekanntes im vom Schauspiel dominierten Nationaltheater-Image war, dass ein Vertreter der Oper dabei Aufnahme fand. Wilhelm Furtwängler war wie der in Mannheim gebürtige Albert Bassermann 1929 zum Ehrenbürger der Stadt Mannheim ernannt worden. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde Bassermann die Ehrenbürgerwürde aberkannt. Oberbürgermeister Heimerich überreichte 1949 den erneuerten Ehrenbürgerbrief von 1932 im Beisein seiner Ehefrau, der Schauspielerin Else Bassermann, die jüdischer Herkunft war. Auf dem Rückflug von New York nach Zürich verunglückte er am 15. Mai 1952 tödlich. Er hatte sich in der Emigration in die USA eine neue Karriere aufgebaut. Seine letzte Filmrolle spielte er 1948 im Ballettfilm Die roten Schuhe als Bühnenbildner Sergei Ratov, wofür er für den Oskar als bester Nebendarsteller nominiert wurde. 1953 beschloss die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger alljährlich zum Geburtstag ihres Ehrenmitglieds einen Kranz an seinem Grab auf dem Mannheimer Hauptfriedhof niederzulegen. Bassermann war überdies seit 1911 Träger des Iffland-Rings. Willy Birgels Ehrungen nehmen sich angesichts solcher Ehrenbezeugungen noch vergleichsweise bescheiden aus. Er wurde immerhin Ehrenmitglied des Nationaltheaters und war ein gerne gesehener und fotografierter Gast bei den Feierlichkeiten zur Eröffnung des neuen Theaters am Goetheplatz (ZF 36).
Somit herrschte im Mannheimer Handel anscheinend Einmut, wer in den Schaufenstern zur Geltung kommen sollte. In einem per Foto überlieferten Fall stellte man auch ein Modell des neuen Nationaltheaters aus. Der Neubau stand für die Sehnsucht nach Neuanfang und Wiederaufbau bei gleichzeitiger Kontinuität. Er diente als Projektionsfläche für nostalgische Träume und noch verbliebene Utopien, mit denen man die Zeit überbrücken konnte, bis es wieder aufwärtsging. Diese Phänomene fußten aber nicht auf einer hohlen Substanz. Die Theaterliebe der Mannheimer*innen war unzweifelhaft Realität.
Durch die materielle Notzeit bedingt, galten ganz konkrete Theaterobjekte, wie Kelche und Königsmäntel, als faszinierend und wert, im Schaufenster ausgestellt zu werden. Lange nach den Aktionen von 1955 bis 1957 widmete sich die Löwen-Apotheke diesem Dekorationsstil. Nicht zuletzt hoffte man damit auf die Zuerkennung des alljährlichen Schaufenster-Wettbewerbs zu Weihnachten. Noch bis in die 90er-Jahre orientierte sich die Apotheke in ihren Schaufenster-Gestaltungen von Zeit zu Zeit am Spielplan des Nationaltheaters. Sie ersetzte mit Originalrequisiten und Gewändern u. a. von Wagner-Opern die visuell mäßig attraktiven pharmazeutischen Produkte.
Schließlich wurde nach den Sparten Schauspiel und Oper auch das Ballett Teil der Mannheimer Schaufenster-Werbekultur. Einerseits kam es auch hier zu dem internationalen Trend, verbrauchte Ballettschuhe mit dem zu bewerbenden Produkt in der Auslage zu platzieren:
Parfumwerbung in der Londoner Burlington-Arcade
Andererseits setzte man um die zweite Jahrtausendwende auf eine dem Luxus und dem Glamour entgegengesetzte Werbestrategie. Das Kachelbild aus den frühen 00er-Jahren zeigt die kooperative Marketingstrategie eines großen Mannheimer Textilhändlers auf den Planken mit dem NTM. Abgebildet wurde das Mannheimer Ballettensemble von Marc McClain und später Kevin O‘ Day in Ganzkörperporträts. Die Tänzer*innen trugen teilweise Tanzkleidung wie im Probebetrieb, teilweise modische Alltagskleidung, die im Laden zu erstehen war. In den Erläuterungen auf der Schaufensterscheibe werden sie namentlich genannt sowie das Logo des Nationaltheaters positioniert. Neu war, dass man vom Starkult abrückte bzw. das Ensemble war der Star! Einige der gezeigten Tänzer*innen leben heute noch immer oder wieder in Mannheim: Rafael Valdivieso, Mami Hata oder Veronika Kornová-Cardizzaro. Die Zusammenarbeit mit dem Nationaltheater durchlief mehrere Stadien. Man präsentierte sich damit als dem traditionsreichen Theater eng verbunden, ohne auf innovative, lebendige und weltoffene Werbestrategien verzichten zu müssen.
Aber wie stand es mit der Kleiderordnung des Theaterpublikums? Die Kleidersitten waren auf, vor und hinter der Bühne längst in einem tiefgreifenden Wandel begriffen. In einer Werbekampagne mit Ben Becker wird auf den vermeintlich noch bestehenden Anzugszwang angespielt. Bedient wird zudem die klischeehaft bestehende Verbindung zwischen Schauspiel und Alkohol. On top sollte es in der Werbung damals beim Biertrinken männlich, deutsch und prominent zugehen:
Angebot eines Fanartikels auf www.ebay.at
Mit gelockerter Fliege gönnt sich Ben Becker auf dem ähnlich dem früheren hell umrandeten Medaillon des Bierdeckels nach dem abendlichen Erfolg ein Bier. Am Nationaltheater war er jedoch nie als Schauspieler tätig. Anders sein Vater, der Schauspieler Rolf Becker (geb. 1935), der mehrfach als Gast im Nationaltheater engagiert war. Ben Becker ist Teil einer Schauspieler-Dynastie (Schwester: Meret Becker, Mutter: Monika Hansen, Stiefvater: Otto Sander etc.). Der Bezug zum Nationaltheater, um nicht zu sagen, zu einem Platz in dessen Ahnengalerie besteht ähnlich wie bei Uwe Ochsenknecht über den Vater tatsächlich, wenn auch indirekt. Es ist Werbekunst at it’s best, ihm so (auch) die Konsumentenrolle zuzuweisen, die eigentlich für den Zuschauenden gedacht ist. 20 Jahre später wird sein (vordigitales) Werbeengagement nicht mehr auf der Website der Brauerei erwähnt. Das sexistische »Mann« und die skandalumwitterte »Marke« Ben Becker passen nicht mehr in das angestrebte Image des Hauses. Das alte Identifikationspotenzial der Stadt, die Trias »Mannheim«, »Tradition« und »Theater« wurde einmal mehr neu gemixt. So findet sich derzeit unter der Rubrik »Meine Kurpfalz - Prominente der Region« ein bebildertes Interview mit einer weiteren Person mit Schauspielbezug: Nina Kunzendorf. Sie ist Mannheimerin und war von 1996 bis 1998 Ensemblemitglied des Nationaltheaters.
Auf dem Re/Präsentationsteller der Werbung für das Nationaltheater liegen zwischen Dalberg, Schiller, Iffland über Bassermann, Furtwängler und Birgel bis zu Becker, Ochsenknecht und Kunzendorf immerhin mehr als 240 Jahre. Immer ein Grund zu feiern!

Dr. Laura Bettag
Bildnachweis, Literatur und Links:
  • Historisches Museum der Pfalz Speyer. König Ludwig I. – Sehnsucht Pfalz. Ausstellung vom 17. September 2023 bis 31. März 2024.
  • Jan Schwenkenbecher (18.10.2015). Online-Reklame. Wenn Werbung nicht mehr wirkt. Verfügbar unter https://www.faz.net.
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