Zeitfenster Nr. 34

Geistige Nahrung und leibliches Wohl im Theaterbetrieb

Das Verhältnis zum Essen auf der Bühne ist ein spezielles: wenn auf der Bühne gegessen und getrunken wird, weil es die Inszenierung so verlangt, wird nicht selten nur so getan, als ob. Der Wein ist gefärbtes Wasser und die Herkunft oder Beschaffenheit der Esswaren bleibt das Geheimnis der Requisite. Für das echte Essen und Trinken im Theateralltag suchen die Mitarbeitenden zumeist die hauseigene Theaterkantine auf. Am Mannheimer Nationaltheater hatte sie vor der generalsanierungsbedingten Schließung des Hauses traditionell umfangreiche Öffnungszeiten. Noch bis nach Ende der Vorstellung konnten sich die Mitarbeitenden des NTM hier versorgen. Keine*r muss sich Speis und Trank selbst mitbringen oder gar das Haus zur Essensaufnahme in Kostüm und Maske verlassen. Die Kantine ist aber auch ein Multifunktionsraum, in dem nicht nur gegessen, sondern auch Besprechungen abgehalten werden, Fußballspiele im Fernsehen geschaut, Karten gespielt oder die Zeit bis zum Auftritt verbracht werden kann. Nicht von ungefähr stattete der Architekt Gerhard Weber die Kantine beim Neubau 1957 mit Designerstühlen von Egon Eiermann aus.
Es war nicht immer so, dass Theaterspielen bzw. der Theaterbesuch und die Essensaufnahme räumlich und zeitlich klar getrennt wurden. Im 18. Jahrhundert zu Zeiten der Rangtheater mit Logen wurden Leckereien und Erfrischungen vor den Logentüren angeliefert und dort zur Labung bei mehrstündigen Opernaufführungen in den Pausen eingenommen. J.W. von Goethe ließ sich als Theaterleiter eine seiner Leibspeisen, einen Salat aus Sardellen, Ei, Pellkartoffeln und weiteren Ingredienzien in seine Loge ins Weimarer Hoftheater bringen.
Im Zuge der Übernahme eher bürgerlicher Sitten im ehemals höfischen Theater und dem Rückbau der Logen mussten sich die Theaterleitungen zum Thema Essensaufnahme etwas einfallen lassen. In Mannheim nutzte man zu Anfang noch das externe Lokal »Zum Zwischenakt«, das den Bühnenkünstler*innen und dem Publikum zur Stärkung zur Verfügung stand. Das Gebäude der Gaststätte besteht heute noch, wobei das Theater auf B 3 im 2. Weltkrieg vollständig zerstört wurde.
In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts schuf man die »Hoftheater-Restauration« im Keller des Nationaltheaters auf B 3. Das Kachelbild zeigt den Zustand im Jahre 1890. Man ließ es sich dort gut gehen, war in bester Gesellschaft und konnte bei Bedarf repräsentieren. Die Bedeutung der Kulinarik wuchs mit der Größe der Lokalitäten. Gioachino Rossini (1792 – 1868) gab der Feinschmeckerei gar den Vorzug und widmete den damit verbundenen Leidenschaften die letzten 38 Jahre seines Lebens.
Eher auf das Kontrastprogramm setzte man in Kriegs- und Nachkriegszeiten. Geistige Nahrung stand ganz oben auf dem Speiseplan. Bei der Konzeption des neuen Theaters am Goetheplatz war neben einer Erfrischungstheke im Großen Foyer für das Publikum keine Vollgastronomie vorgesehen. Man nippte an alkoholischen Getränken und rauchte Zigaretten bzw. Zigarren: Stehparty war das Gebot der Stunde. Die Eingangshalle war dazu konzipiert, den modernen Kunsttempel auf (heute ebenfalls denkmalgeschützten) Solnhofener Platten zu betreten. Allenfalls waren an der dortigen Theaterkasse Eintrittskarten zu erwerben. 1987 und 2015 schien dann endgültig Schluss mit diesem als allzu spartanisch empfundenen Anspruch zu sein.
Gerhard Webers einstiger »Pavillon aus Licht« wurde umfunktioniert. Man baute moderne Gastrotheken ein und machte es möglich, rasch an die Pausenerfrischung zu kommen. Aber auch in den 50er-Jahren blieben die geistigen Genüsse nicht das Maß aller Dinge. Die Befriedigung menschlicher Essgelüste wurde nach außen verlagert! In unmittelbarer Nähe des neuen Theatergebäudes am Goetheplatz machte z.B. das Restaurant Treiber seine Angebote. Dort konnte man sich vor oder nach dem Theaterbesuch stärken und in größerer Runde zusammenzufinden:
MARCHIVUM, Bildsammlung, AB01436-7-33
Hier herrschte eine rustikalere 50er-Jahre-Stilistik ohne avantgardistischen Anspruch vor. Weniger chic ging es auch im Bierkeller des Rosengartens 1952.53 zu. Beim Wiederaufbau hatte man dort ebenfalls im Keller eine entsprechende Lokalität eingerichtet.
Ein Highlight der Esskultur des Mannheimer Wirtschaftswunders stellte zweifelsohne eine Aktion dar, von der man noch heute spricht. Um Spenden für den Neubau des Theaters zu generieren, veranstaltete man zwei Tombolen (ZF 24). Auf dem Paradeplatz wurden die Gewinne ausgestellt und abgeholt. Während des munteren Treibens drehte sich bei der zweiten Tombola 1956 ein Zwölf-Zentner-Ochse am Spieß. Da die sogenannte »Fresswelle« über das Land schwappte, wusste man dieses Ess-Spektakel zum Wiederaufbau Mannheims und zum Wohle des Theaters einzusetzen:
MARCHIVUM, Bildsammlung, AB00667-040

Dr. Laura Bettag
Bildnachweis und Literatur:
  • Kachelbild MARCHIVUM, Bildsammlung, KF016352
  • Susanne Räuchle. Tanten-Sopran und Supertramp im Ohr. Mannheimer Morgen v. 30.6.2015.
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