Zeitfenster Nr. 32

Verbindungen zwischen Dr. Maria Ley-Piscator und Mannheim

Max Pollak: Maria Ley (1925) © annexgalleries.com
Maria Ley-Piscator war physisch vermutlich nie in Mannheim. In ihrem langen Leben von 101 Jahren ergaben sich jedoch starke Verflechtungen zur Theaterkultur Mannheims. Sie wurde 1898 in Wien als Friederica Flora Czada geboren und führte später den Künstlernamen Maria Ley. 1999 verstarb sie in New York. Ihr Vater war Architekt und ihre Mutter Konzertpianistin. Maria Ley wurde zunächst als Tänzerin ausgebildet, entwickelte ihre Mehrfach-Begabung aber vielfältig als Schauspielerin, Choreografin, Regisseurin und Universitätsdozentin weiter. Zwischen 1924 und 1929 arbeitete sie als Choreographin für Max Reinhardt bei den Salzburger Festspielen und in Berlin.
Sie schrieb Theaterstücke, Romane, Essays und Gedichte sowie eine sehr lesenswerte Autobiografie. Maria Ley lebte als Kosmopolitin in verschiedenen Ländern. In ihren Jahren in Frankreich wurde sie an der Sorbonne in Literaturwissenschaften promoviert. Nach Paris gelangte sie auf Anraten einer Freundin, der Schriftstellerin und Salonnière Berta Zuckerkandl-Szeps. Die Freundschaft mit ihr führte zu bedeutenden persönlichen Kontakten und Verbindungen. So lernte sie Frank Deutsch (1899 –1934) kennen, den Sohn der Mannheimerin Franziska Elisabeth Lily Kahn und des Industriellen und AEG-Mitbegründers Felix Deutsch. Im April 1928 heirateten Maria Ley und Frank Deutsch. Damit wurde sie Teil einer sehr wohlhabenden, kunstfördernden und hochmusikalischen Familie. Die Aufnahme des Kachelbildes zeigt einige Mannheimer Mitglieder der Familien Kahn, Hirsch, Eberstadt und Schulze-Gaevernitz. Lily sieht man als 3. von rechts im Profil. Die großbürgerliche Lebenswelt der Familie Deutsch beschreibt Maria Ley in ihrer Autobiografie Der Tanz im Spiegel (S. 151):
»Ich wußte, dass Frank der zweite Sohn eines Industriellen war (…). Frank leitete die frühere Edison-Gesellschaft. Er lebte ständig in Frankreich, was ihm sehr recht war, denn er war ein begeisterter Frankophiler.«
Über Franks Mutter Lily schreibt sie, sie sei »eines der schönsten Mädchen Mannheims« gewesen und hätte den gleichen progressiven Geist besessen wie ihr Bruder Otto H. Kahn. Dieser war nach Amerika ausgewandert und hatte dort als Bankier und Kunstmäzen von sich reden gemacht.
Frank Deutsch unterschätzte zunächst die gefährliche Tragweite des aufkommenden Nationalsozialismus. Als die Umstände auch in Frankreich in ihrer grausamen Realität unübersehbar wurden, beging Frank Deutsch Suizid. Der Komponist Kurt Weill, der Filmregisseur Anatole Litvak und Maria Ley nahmen seinen Sarg in Empfang. Frank hatte sich vor seinem Tod noch um die Reisedokumente gekümmert, mit Hilfe derer seine Mutter und Schwester Trude sowie deren Mann, der Dirigent Gustav Brecher, im letzten Moment hätten ausreisen können. Maria Ley schildert, dass das Schiff von Hamburg nach Lissabon wieder nach Antwerpen zurückkehren musste. Alle drei fielen in die Hände der Nationalsozialisten, die inzwischen Belgien besetzt hatten. Lange ging Maria Ley davon aus, dass sie in einem Hotel in Belgien wie Frank Deutsch Selbstmord verübt haben sollten. In Wirklichkeit hatte man sie ermordet.
Noch in Frankreich lernte Maria Ley dann ihren dritten Ehemann Erwin Piscator (1893 – 1966) kennen. Sie heirateten 1937 und emigrierten 1938 in die Vereinigten Staaten. Der Aufbau einer neuen Existenz gestaltete sich alles andere als einfach. Gemeinsam gelang es Ihnen schließlich, eine hochkarätige Ausbildungsstätte für modernes Theater zu etablieren. Den Dramatic Workshop in New York absolvierten später so berühmte Schüler wie Harry Belafonte, Tony Curtis, Marlon Brando und Walter Matthau. Aufgrund seiner Kriegstraumatisierung im 1. Weltkrieg und seiner Zugehörigkeit zur kommunistischen Idee trug sich Piscator wiederholt mit dem Gedanken, wieder nach Russland zu gehen bzw. nach dem Krieg nach Deutschland zurückzukehren. Dies tat er schließlich Anfang der 50er-Jahre. Nach seinem Fortgang aus den USA übernahm Maria Ley zeitweilig die Leitung der Workshops und der Theater und baute zwischen 1954 und 1960 das Maria-Piscator-Institute auf. Gelegentlich besuchte sie Piscators Inszenierungen an der Freien Volksbühne in Berlin und wurde nach seinem Tod zu einer geschätzten Expertin seiner Kunst auch in Deutschland.
Erwin Piscator inszenierte in Mannheim u. a. die Eröffnungspremiere von Schillers Die Räuber im neuen Nationaltheater am Goetheplatz. Die Bühnenmusik dazu schuf die in Mannheim geborene Komponistin Aleida Montijn (1908 – 1989), die zwischenzeitlich seine Geliebte war. Obwohl sich auch Maria Ley-Piscator ihrerseits um ihren ersten Ehemann, den KZ-Überlebenden Robert Bauer kümmerte, blieben Maria und Erwin verheiratet und wurden gemeinsam in einem Ehrengrab in Berlin-Zehlendorf bestattet. Sie überlebte Piscator um mehr als 30 Jahre. In Erinnerung an Erwin Piscator unterhielt sie in den 1970er- und 1980er-Jahren in New York eine Piscator Foundation und stiftete 1986 den Erwin Piscator Award. Im Jahr 1987 wirkte Ley in dem in Deutschland bedauerlicherweise wenig beachteten Film Rosa von Praunheims Dolly, Lotte und Maria mit.
Zu Zeiten von Piscators Anwesenheit in Mannheim war Hans Schüler (1897 – 1963) Intendant am Nationaltheater. Aus seinem Nachlass geht hervor, dass u. a. Dokumente von Lily Kahns Schwiegersohn Gustav Brecher, also dem damaligem Schwager Maria Leys, positiv zu Schülers Entlastung hinsichtlich seines strategischen NSDAP-Eintritts beitrugen.
Die Mannheimer Familie Kahn brachte noch ein weiteres, künstlerisch bedeutendes Mitglied hervor: Robert Kahn (1856 – 1951). Er war eines der neun Kinder Bernhard Kahns, nach dem die Neckarstadter Bernhard-Kahn-Bücherei benannt ist. Seine Mutter entstammt der Familie Eberstadt. Der Pianist, Dirigent und Komponist erhielt Unterricht bei Emil Paur, der zwischen 1880 und 1891 Hofkapellmeister am Großherzoglichen Hof- und Nationaltheater Mannheim war. Bemerkenswert war ab Mitte der 1980er-Jahre die Wiederentdeckung der Werke Robert Kahns. Mitglieder des Nationaltheaters spielten dabei eine wichtige Rolle. Der ehemalige Bratschist Burkhard Laugwitz engagierte sich vielfältig für das Konzert Einst gefeiert, dann vergessen, das von der Badischen Kommunalen Landesbank und dem Deutschlandfunk am 20. September 1985 in Mannheim realisiert wurde. Auch der damalige Erste Kapellmeister und Pianist Donald Runnicles stellte Robert Kahns Kammermusik einem interessierten Mannheimer Publikum vor. Fast 40 Jahre später ist die Dokumentation von Robert Kahns Leben und Werk weit fortgeschritten. Die Töchter des bekannten Bach-Interpreten Helmuth Rilling sind die Urenkelinnen von Robert und seiner Frau Katharina Kahn mütterlicherseits. Sie nehmen sich des Erbes an, unterstützen moderne Editionen und bringen entsprechende CDs heraus. Noch nicht abschließend erschlossen ist Robert Kahns besondere Form einer Autobiografie: sein Tagebuch in Tönen entstand im englischen Exil und besteht aus mehr als tausend Klavierstücken. Er starb 1951 in Kent.

Dr. Laura Bettag
Bildnachweise, Literatur und Links:
  • Kachelbild: MARCHIVUM, Bildsammlung, AB01686-035
  • Maria Ley-Piscator (1989). Der Tanz im Spiegel. Mein Leben mit Erwin Piscator [Originaltitel Mirror People]. Hamburg: Rowohlt.
  • Burkhard Laugwitz (1986). Robert Kahn. Ein vergessener Mannheimer Komponist. In: Mannheimer Hefte, Nr. 1, S. 15-22.
  • MARCHIVUM, Nachlässe, NL Schüler, Hans
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