Zeitfenster Nr. 25

Die Brentanos in Mannheim zwischen Politik und Kunst

MARCHIVUM, Bildsammlung, KF 014923
Außenminister Heinrich von Brentano (1904 – 1964), US-Kommandant Colonel Nathaniel Ramsey Hoskot (1911 – 2004) und Intendant Hans Schüler (1897 – 1963) trafen sich bei der Eröffnungsfeier am 12. Januar 1957 im Nationaltheater. Mit der Anwesenheit Heinrich von Brentanos war ein Hauch von großer Bundespolitik in Mannheim präsent, da er 1955 als Bundesminister des Auswärtigen von Konrad Adenauer ins Kabinett berufen wurde. Die Bundesrepublik war zu diesem Zeitpunkt bereits Mitglied der NATO. Der frisch mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Hans Schüler präsentierte sich bei der auch diplomatisch fordernden Veranstaltung unter Anwesenheit hochrangiger Vertreter des US-Militärs als souveräner Gastgeber. Die unterschiedlichen Parteizugehörigkeiten von Heinrich von Brentano (CDU) und des SPD-Mannes Hans Schüler spielten in dieser Konstellation eine untergeordnete Rolle. Wichtiger war, dass Brentano der Region um Mannheim eng verbunden war. Er zog als Bundestagsabgeordneter des Wahlreises Bergstraße stets als Direktkandidat in den Bundestag ein. Die ursprünglich vom Comer See nach Frankfurt eingewanderte Familie der Brentanos hatte zahlreiche politisch erfolgreich tätige Persönlichkeiten hervorgebracht. Schon Heinrichs Vater Otto von Brentano war ein einflussreicher Politiker der Zentrumspartei. Auch in Mannheim wirkten Brentanos, jedoch von anderen Linien des weit verzweigten Adelsgeschlechtes. Im Umfeld der Badischen Revolution wurde Anfang 1849 Lorenz Peter Carl Brentano zum Mannheimer Oberbürgermeister gewählt. Die badische Regierung erkannte die Wahl aber aufgrund seiner oppositionellen Haltung als liberaldemokratischer Politiker nicht an. Danach machte er im US-amerikanischen Exil Karriere, unter anderem wurde er Präsident des Stadtrats von Chicago und Kongressabgeordneter in Washington, D.C.
Am bekanntesten sind Clemens und Bettina Brentano, die Kinder aus zweiter Ehe des Frankfurter »Stammvaters« Pietro Antonio Brentano aufgrund ihrer künstlerischen Leistungen. Innerhalb der Heidelberger Romantik schuf Clemens von Brentano (1778 – 1842) die Sammlung Des Knaben Wunderhorn gemeinsam mit Achim von Arnim, dem späteren Ehemann seiner Schwester Bettina. Eher unbekannt ist, dass Clemens als 13-Jähriger sich für zwei Jahre von 1791 – 1793 in Mannheim aufhielt. Seine Eltern schickten ihn in das »rheinpfälzische öffentliche Erziehungsinstitut für männliche Zöglinge aller Religionen und Religionsparteien« von Johann Jakob Winterwerber. Nach Auffassung seiner Mutter Maximiliane von La Roche war ihr Sohn »begabt, aber sprunghaft und bedurfte einer individuelleren Behandlung, als es im Vaterhaus möglich gewesen wäre.« Sie bemängelte sein Benehmen und Verhalten (die »Conduite«), was Maximilianes Orientierung an der höfischen Erziehung offen legte.
Mit der intelligenten Beherrschung des Freiraums zwischen traditioneller Hof- und urbaner Bürgergesellschaft hatten sie und vor allem ihre Mutter Sophie von La Roche gesellschaftlichen Aufstieg erlangt. Sophie von La Roche würdigte Mannheim nach ihrem Aufenthalt 1784 als Kunst- und Kulturstadt in einem Buch, das 1791 als Briefe über Mannheim erschien (s. Zeitfenster 4). Überdies wohnte in Mannheim ein Vetter Clemens Brentanos, dessen Vater ebenfalls ein angesehener Geschäftsmann und Ratsherr war. Die Erziehung durch Winterwerber verfolgte die philanthropischen Erziehungsmaximen Menschenliebe, Vernunft, Gleichheit, Natürlichkeit und Glück. In seinem »Grundriß« von 1784 hob Winterwerber besonders die erzieherischen Vorzüge des Standorts Mannheim (S. 5) hervor:
Ob Clemens das »hiesige Nazionaltheater« besuchen durfte, bleibt fraglich. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit schien eine beträchtliche Lücke zu klaffen, denn Winterwerber versuchte, seine Ideale mit physischer und psychischer Gewalt durchzusetzen. Er neigte zu einem zänkischen und feindseligen Umgang. Clemens beschwerte sich bei seinem Onkel Carl von La Roche über die Behauptung Winterwerbers, seine Zöglinge »seien in seine Frau verliebt und sie in uns«. Der nicht nur literarisch, sondern auch musikalisch hochbegabte Clemens durfte das Institut schließlich doch verlassen. Zu dominierend war in Mannheim zu dieser Zeit die aufgeklärt-absolutistische Herrschaftsform. Noch 1793 huldigte man ihr anlässlich des 50. Regierungsjubiläums von Carl Theodor, der seine Residenz schon 1778 nach München verlegt hatte. Derlei ambivalente politische Verhältnisse zwischen dem Nicht-mehr und dem Noch-nicht prägten die Stadtgesellschaft und ihr Theater immer wieder. Besonders zeigte sie dies in Feierstunden, bei denen das Theater nicht zuletzt zur »Bühne der Macht« wurde. Unterschwellige weltanschauliche Spannungen und die stets ein wenig ungewisse politische Zukunft lassen sich auch am 12. Januar 1957 bemerken, wenn Heinrich von Brentano an seiner Zigarette zieht. Der Kettenraucher verstarb wenige Jahre später. Eine seiner letzten Amtshandlungen als Außenminister war die Unterzeichnung des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens. Welche Auswirkungen sich daraus ergaben, wird in der deutschen Theaterlandschaft innerhalb ihrer Diversity-Debatte erst in den letzten Jahren flächendeckend intensiv thematisiert.

Dr. Laura Bettag
Literatur und Links
  • Kurt N. Berg (1931). Clemens Brentano in Mannheim. In: Mannheimer Geschichtsblätter 32, S. 214-218.
  • Johann Jakob Winterwerber (1784). Grundriß des unter der unmittelbaren Oberaufsicht der kurpfälzischen hohen Landesregierung stehenden, öffentlichen Erziehungsinstitutes in Mannheim. Frankenthal: Gegel. Verfügbar als Digitalisat bei Google Boos.
  • Bernd Heidenreich, Evelyn Brockhoff et al.(Hg.)(2016). Die Brentanos. Eine romantische Familie? Frankfurt a.M.: Henrich Editionen.
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